Die drei Adras: Timuçin Ökmen, Jalal Chafik und Safa Raif Akşit

Eine tolle Theaterfamilie

Nach Necati Öziri: Vatermal

Theater:Schauspiel Köln, Premiere:07.02.2025Regie:Bassam Ghazi

Am Schauspiel Köln inszeniert Bassam Ghazi mit einem sechzehnköpfigen Laienensemble „Vatermal“ nach dem Roman von Necati Öziri. Sie zeigen eine temporeiche komplexe Familiengeschichte zwischen der Türkei und Deutschland.

Auch der Applaus am Ende der knapp zwei Stunden im Depot 2 des Schauspiel Köln ist ein ganz besonderer. Weniger dass die zahlreichen Freunde und Familienangehörigen der Akteur:innen sehr schnell in Standing Ovations übergehen, als dass sich hier noch einmal die starke positive Energie des großen Ensembles zeigt. Freude, Stolz, Zusammenhalt auf der Bühne werden da uninszeniert, ungeschminkt offensichtlich.

Sprachlose Vaterfigur

Naturgemäß sind die darstellerischen Kunstmittel des nicht professionellen Ensembles von Jugendlichen bis zu mittelalten Erwachsenen limitiert. Und da ist es ein bewährtes Mittel große Rollen auf mehrere Schultern aufzuteilen, mit Videoeinspielungen oder eingestreuten Choreografien zu arbeiten. All das tut Regisseur Bassam Ghazi und sein Team. Doch nutzen sie diese Mittel – die Rollenwechsel und die darstellerischen Variationsmöglichkeiten (Choreografie: Bahar Gökten), die Bühne (Karolina Wyderka) mit einem weiten grünlichen Gazevorhang und einer Bühnenbasis, die auf Fundamente einer Siedlung oder Reste einer (von einem Erdbeben?) zerstörten Stadt deuten können, das Licht (Jan Steinfatt), oft grüne Kostüme (Justine Loddenkemper) oder die Videoeinspielungen (Viktoria Gurina) –, um die komplexe Familiengeschichte des Romans „Vatermal“ nicht nur flott nachzuerzählen. Vielmehr gelingt es, die Persönlichkeiten und leidenschaftliche Energie der Darstellerinnen mit der Geschichte des todkranken Erzählers Arda und seiner Familie organisch zu verbinden.

Necati Öziris Debütroman schildert, gerahmt als Brief an den abwesenden Vater, die Konflikte zwischen Mutter und Schwester, die bürokratische Ausgrenzung der Einwanderer, aber auch die Geschichte der Mutter, die nach einem verheerenden Erdbeben in der türkischen Heimat von den Eltern einige Jahre getrennt war, als die in Deutschland Arbeit suchten. Identität und Ausgrenzung werden da vielschichtig, aber auch einfach nachvollziehbar anhand glaubwürdiger Schicksale geschildert. Familiäre Konflikte erscheinen plastisch angesichts der prekären Gegenwart und Zukunftsaussichten. Alle Familienmitglieder und Geistesverwandte suchen das Leben in einer Welt, die sie zu Gastarbeitenden macht. Für den plötzlich erkrankten, jungen Arda erscheint es nun notwendig, aber auch unmöglich Bilanz zu ziehen angesichts der Leerstelle Vater.

Kunstvolle Authentizität

In Szenen mit wenigen Darsteller:innen werden auf der flexibel bespielten Bühne die Konflikte etwa zwischen Mutter und Schwester um das Krankenbett Ardas herum szenisch prägnant gezeigt; Rückblicke entstehen mithilfe alternierender Besetzungen für eine Figur oder (sparsam) eingesetzter Videoeinspielungen. Durch Gruppenchoreografien, die das Leitmotiv Sprachlosigkeit in der Familie über den Romantext hinaus mit Sätzen der Ensemblemitglieder über ihre Familienverhältnisse füllen, erhält die Familiengeschichte eine schlüssige Erweiterung; durch die dynamischen Szenen des Teenagers Arda und seiner drei Kumpel auf den Stadtfragmenten wird die Energie und Verunsicherung Heranwachsender liebevoll und vielschichtig aufgezeigt.

Während die Erstaufführung des Romans am Maxim Gorki Theater auf ein sehr kleines Ensemble setzte, gelingt es der Kölner Inszenierung mit der großen Gruppe teils sehr begabter, durchweg selbstbewusst aufspielender und klug inszenierter Menschen, einen vielschichten Kosmos zu entwickeln. Sympathie und Verständnis entsteht so für alle Konfliktparteien. Im März folgt eine weitere Inszenierung von „Vatermal“ am Schauspiel Dortmund.

Die Darsteller:innen der Kölner Inszenierung seien hier alle genannt: Raphael Abilgaard, Safa Raif Akşit, Sadaf Alizada-Ahmed, Petrus Altun, Berfin Balta, Jalal Chafik, Ella Dexl, Voula Doulgkeridou, Ahmet İlker Ergin, Christopher Köberlein, Özlenim Meier, Timuçin Ökmen, Akua Saphia, Zoltán Selo, Maximilian Sitner, Rêzan Sönmez.