Ein Lawine tötet den Geliebten und auch Wally stirbt in der Schnellhölle. Exzellent löst Regisseur André Bücker mit Bühnenbildner Jan Steigert diese Szene. Von fern rollt die Lawine via Videoprojektion heran, hochdramatisch durch die Fulminanz des Orchesters. Ein grandioser Abschluss für Catalanis „La Wally“ im Landestheater Niederbayern. Nur selten ist „La Wally“ in Opernhäusern so sehen. Zu kitschig ist die Verfilmung der „Geierwally“ Wilhelmines von Hillerns Heimatroman in Erinnerung. Zu schwierig wurde die Bühnengestaltung empfunden.
Umso mutiger ist die Entscheidung des Landestheater Niederbayern, „La Wally“ auf das Programm zu setzen. Fulminant fusionieren Jan Steigerts Bühnenbild und Orchester. Facettenreich kristallisieren die Sänger die emotionale Tiefgründigkeit der Oper heraus. Wally liebt den draufgängerischen Jäger Hagenbach. Der Vater fordert dagegen die Heirat mit Gellner. Wally muss das Elternhaus verlassen, geht mit dem befreundeten Walter in die Berge. Nach dem Tod des Vaters ist sie eine reiche Bäurin. Als sie Hagenbach ihre Liebe gesteht, macht er sie lächerlich. Gleichzeitig verliebt er sich in sie. Es folgen Rache, Reue, aber kein Happyend.
In magischen Bildern visualisiert Regisseur André Bücker den Spannungsbogen zwischen heimeligen Dorf und den schroffen Eisregionen. Hintereinander gestaffelte Bergpanoramen verwandeln sich im rechten Winkel gedreht in Hof, Dorf, Kirche, Berghütte, im Rot der Abenddämmerung zur Chiffre lodernder Liebe, übereist, bei ständigen Schneefall zur Metapher absoluter Vereinsamung. Zwischen zwei Hütten stürzt in der Ferne Hagedorn an der einer projizierten Steilwand in die Tiefe. „Der Schnee weint Tränen“.
Es sind die magischen Bilder zwischen Licht und Eis, wodurch Catalanis spätromantische Musik mit impressionistischer Tonmalerei bestens zur Wirkung kommt, sich die Schickalsergebenheit des Naturalismus um die Abhängigkeit und Willkür der Natur weitet und sich die Sinnfrage nach der tiefen Religiosität der Bergmenschen stellt. In der Ferne leuchten Fackeln des Suchkommandos als Kreuzzeichen. Ein vereistes Kreuz schwebt über der toten Wally. Die irrationalen Eistrolle, ein origineller Verweis an Catalanis spätromantische Ausrichtung, verschieben Eis- und Schutzwelten. Es gibt keine Rettung.
Durch die Bilder, durch das facettenreiche Dirigat ist der schleppende, handlungsarme, sehr statische erste Akt, bei dem sich Sänger und Orchester noch finden müssen, genauso so schnell vergessen wie die immer wieder auftretende Rampenaufstellung der Sänger. Unter dem schwungvollen Dirigat Margherita Colombos entwickelt die Niederbayerische Philharmonie einen wunderbaren Farbklang. Selten sind die einzelnen Instrumentalgruppen derart differenziert, transparent und klangschön zu hören. Margherita Colombo lotet das volle Klangspektrum aus, wechselt immer wieder zwischen furioser Wucht und ganz subtiler Emotionalität, so echt empfunden, so schlank und wirkungsvoll interpretiert, dass „La Wally“ vom Kitschmythos der „Geierwally“ befreit als große Liebesdrama erlebt werden kann. Berührend verlangsamt sie den Kuss-Walzer, bei dem sich die Blicke kreuzen und sich die Glut der Liebe entfacht. Margherita Colombo fordert und stützt die Solisten, den klein besetzten Chor (Leitung Eleni Papakyriakou), dynamisiert die Tutti im furiosen Forte.
Gelungene Überraschungen bietet die Besetzung. Emily Fulz als Walter verstärkt die freundschaftliche Rolle zwischen ihm und Wally. Ihr frischer übermütig kolorierender Mezzosopran passt bestens zur Rolle eines Freundes durch Dick und Dünn. Kimberley Boettger-Soller lässt trotz ihrer Minipartie aufhorchen und verwandelt die Wirtin Afra in ein junges, sehr hübsches und sympathisches Mädchen, mit der Wally kaum konkurrieren kann.
Wally selbst wirkt durch Gastsängerin Adelheid Fink zwar authentisch, ein kräftiger Wildfang in Hosen, später die herrische Großbäuerin. Ihr heller Sopran überzeugt allerdings in der Mittellage, bei den Höhen muss sie zu sehr forcieren. Sängerischer Schmelz verwindet hinter schrillen Tönen, diese als dramaturgischen Aufschrei zu werten, wäre geschönt. Und auch die berühmte Arie „Ebben? Ne andrò lontana“ ergreift nicht wirklich. Sehr wirkungsvolle Momente entstehen zusammen Jeffrey Nardone als Hagedorn. Er bringt mit seinem klangvollen Tenor den Herzschmerz auf den Punkt. Kyung Chun Kim findet erst allmählich als Gellner zu dem von ihm gewohnten baritonalen Tonvolumen. Szymon Chojnackis klarer Bass passt zur Rolle eines autoritären Vaters. Auch wenn nicht alles perfekt ist, gelingt dem Landestheater Niederbayern eine dramatische „La Wally“, wie man sie nur selten zu sehen bekommt.