Foto: Götter im Bungalow: (im Vordergrund v.l.n.r.) Egils Silins (Wotan), Attilio Glaser (Froh), Elisabeth Teige (Freia), Raimund Nolte (Donner) und Daniel Kirch (Loge) © Enrico Nawrath
Text:Roberto Becker, am 1. August 2022
Bayreuth ganz bei sich selbst: wenn auch mit zwei Jahren Verzögerung. Jetzt startete endlich der neue Nibelungen-Ring mit dem „Rheingold“. Vor dem hier typischen, wagnerbegeisterten Publikum, das wissen wollte, was die Ankündigung des jungen Österreichers Valentin Schwarz, dass der Ring für ihn eine Familiengeschichte über mehrere Generationen ist, nun konkret bedeutet. Versprochen hatte er damit ein Gegenmodell zum Vorgänger-Ring von Frank Castorf mit seiner großformatig gedachten Reise durch die Welt, die Zeiten und Ideen. Was hätte Schwarz da auch drauf setzen können?
Mutterleib statt mythischer Fluss
Die Geschichte beginnt, einigermaßen folgerichtig, diesmal nicht im Urschleim bzw. -schlamm des mythischen Rheinstromes, sondern im Mutterleib. Von wem auch immer. Jedenfalls sehen wir im Frucht-, nicht im Flusswasser zum Vorspiel (Video: Luis August Krawen) erst zwei Nabelschnüre und dann zwei Embryos. Als der eine dem anderen ins Auge boxt und der blutet, merkt der kundige Ringzuschauer, dass es hier nur um Alberich und Wotan gehen kann. Was tatsächlich Sinn macht. Die beiden sind ja wirklich die großen Gegenspieler und Strippenzieher der Tetralogie. Ein paar Mal begegnen sie sich persönlich. Aber ihr Kampf um die Macht setzt sich bekanntlich im Kampf ihrer Nachkommen fort. Auf Leben und Tod. Dass alle beide mit ihrem Nachwuchs die Probleme haben, wie alle Väter, deren Sprösslinge sich zwar bis zu einem gewissen Grad erziehen und nach dem eigenen Bilde formen (oder auch enthemmen) lassen, ist allzu menschlich.
Bei Schwarz ist sogar der Ring ein Mensch, wenn auch ein kleiner. Als Alberich die drei Kindermädchen belästigt, die am Pool auf die lieben Kleinen aufpassen sollen, kriegt er während seiner MeToo-reifen Übergriffigkeiten mit, dass es mit dem Knaben, der sich bei den Planschereien der Mädchen raushält, etwas Besonderes auf sich haben muss. Und so schnappt er sich am Ende nicht das Gold, sondern diesen kleinen Kronprinzen der Macht. Und steckt ihn in die Kindergruppe, die sein biederer Bruder Mime (Arnold Bezuyen) bespaßt. Die Kette, an die Alberich diesen Jungen legt, ist hier aber nicht nur Berechnung oder Gewalt, sondern eine Art von Zuneigung, die noch kein Regisseur Alberich zugebilligt hat. Als Wotan den Jungen (filmreif) für seinen Clan reklamiert und einen Alberich in Unterwäsche demütigt, wendet sich der Junge seinem vormaligen Entführer zu und tröstet ihn sogar. Olafur Sigurdarson macht aus Alberich zumindest einen Fiesling mit menschlichem Antlitz. Stellt also, was die Ambivalenz seines Charakters betrifft, fast so etwas wie Augenhöhe mit Wotan her. Wie berechnend dieser vermeintliche Hüter der Verträge und des Rechts ist, kriegt vor allem Freia (Elisabeth Teige) zu spüren, die eben nicht nur durch ihre Verpfändung als Geisel für ausbleibenden Lohn an die Erbauer Wahlhalls traumarisiert wird, sondern aufschreit, als Fafner (Wilhelm Schwinghammer) seinen Bruder Falsolt (Jens-Erik Aasbø) erschlägt, für den sie offenbar etwas empfunden hat. Eine schrecklich nette Familie ist das. So toll, dass der im Salon stets auch anwesenden, aber allgemein ignorierten Erda bei dem Gezerre um das Kind (sprich die Zukunft des Clans) der Kragen platzt, sie ein volles Tablett mit Gläsern auf den Boden feuert und der ganzen Sippschaft den Untergang prophezeit.
Kinder als Schätze
Da der Binnenlogik der Perspektivenverschiebung durch die Regie folgend das Gold der Nibelungen auch in den Kindern (also Walkürenmädchen liegt), macht es durchaus Sinn, dass eins der Mädchen bei den Riesen als Schatz der Nibelungen akzeptiert wird. Aber nachdem der eine den anderen erschlagen hat, flüchtet das blonde Mädchen zu Erda, um mit ihr gemeinsam diese Familie zu verlassen. Es wird wohl Klein-Brünnhilde sein. Und es wird sicher ein Wiedersehen mit Klein-Hagen, dem Rabauken aus der Kitagruppe in Nibelheim, geben. Hier wird das „Gold der Zukunft“ herangezogen….
Mit Wotans Neubau jedenfalls ist es erstmal nicht weit her. Wir kriegen Walhall jedenfalls nicht zu sehen. Und finden sowieso, dass dieser Clan mit einem ganzen Haufen von dienstbereitem Personal in seinem Bungalow (Bühne: Andreas Cozzi, Kostüme: Andy besuch) ganz gut untergebracht war. Aber der Chef will ja noch hoch hinaus. Zumindest will er vermutlich auch so einen eigensinnigen, enthemmten Stammhalter, wie ihm von Alberich in Nobelheim vorgeführt wurde. Den, den er ihm selbst für kurze Zeit abgenommen hatte, konnte er nur im SUV der Riesen nachtrauern. Man ist wirklich gespannt, wie das weitergeht.
Am Pult im verdeckten Graben musste der eigentlich für den „Tristan“ angereiste Cornelius Meister einspringen. Pietari Inkinen ist erkrankt, kann erst im nächsten Zyklus übernehmen. Zum Glück ist der Stuttgarter GMD an seinem Haus eh im Ring-Modus. Er packt die Tücken der Bayreuther Akustik souverän – sein Dirigat passt zu dieser zupackend originell modernisierenden Sicht. Das Ensemble ist durchgängig wagnererfahren. Für die besondere Portion Jubel über den Respekt hinaus reichte es vor allem bei Okka von der Damerau (Erda), Olafur Sigurdarson (Alberich), Christa Meyer (Fricka) und Egilis Silins (Wotan).