Foto: "Hans Heiling" am Theater Regensburg. Adam Kruzel © Jochen Quast
Text:Michaela Schabel, am 21. September 2015
„Auf und nieder“ wogt der Chor, Geldbündel werden geschichtet, eingesackt, mittendrin Zuschauer, eng gedrängt, alle zusammen auf der Bühne, die Stimmen direkt am Ohr, der Blick auf Augenhöhe mit den Sängern. So wird die Auftakt-Inszenierung der neuen Regensburger Opernsaison zu einem interessanten Opernexperiment. Und die Opernfreunde in Halle dürfen sich ab 2016 auf ihren neuen Operndirektor freuen: Florian Lutz .
Der nämlich stellt jetzt im Stadttheater Regensburg sein großes Regiepotential unter Beweis und verwandelt Heinrich Marschners romantische Gruseloper „Hans Heiling“ in ein Klassenkampfstück, das er im Stil Brecht´scher Verfremdung einer ironischen Analyse unterzieht: durch einen smarten Moderator (Matthias Lafari) und eine Talkshow, die es – zumindest scheinbar – auf die kritische Reflexion von Klassenunterschieden und Liebesbegriffen abgesehen hat. So entdeckt er eine Oper neu, deren Dramaturgie den Regisseuren ein paar harte Nüsse zu knacken gibt, deren Komponist aber ein wichtiger musikhistorischer Mittler zwischen Carl Maria von Weber und Richard Wagner war.
Florian Lutz bezieht die Zuschauer auf intensive Weise mit ein. Sie können, wie in der Gesellschaft auch, wählen, ob sie aktiv mitmachen oder nur passiv erleben möchten in einem szenischen Geschehen, das die Liebesgeschichte eines Erdgeistes zu einem einfachen Mädchen in eine Problematik der Klassenunterschiede umdeutet, die für die Trennung der Welten sorgt. Und so, um ein Drittel gekürzt, mit flotten Moderationstexten angereichert, garniert mit Karl Marx-Parolen, gewinnt das problematische Libretto eine knackige Kürze von zweieinhalb Stunden.
Das Reich der Erdgeister also müht sich tagtäglich um den Mehrwert, wie später Alberich bei Wagners „Rheingold“. Das Geld wird zum Selbstzweck, ohne die wirklichen Bedürfnisse zu befriedigen. Deshalb will Hans Heiling, der eigentlich der König der Erdgeister werden soll, zu den Menschen. Er sucht und findet die Liebe. Doch die auserwählte Anna zaudert, spürt die dämonischen Kräfte, die von Hans Heiling ausgehen, entdeckt seine Herkunft und verliebt sich in den Volksaufwiegler Konrad. Die Folge: Eifersucht, ein Mordanschlag…
Wer zu den wohlhabenden Kapitalisten gehören will, der nimmt nach dem pompösen Prolog und während der Ouvertüre im Parkett Platz. Wer aber spüren will, wie sich die arbeitende Klasse fühlt, der bleibt auf der Bühne – und wird mit Blaumänteln, Hygienekappen und Plastikhandschuhen für ein Heer von Kartoffel schälenden Statisten rekrutiert, das später auch beim Volksfest dabei ist und als Hochzeitsgäste in Weiß den über 30-köpfigen Chor noch mächtiger erscheinen lässt – und immer wunderbar ins Bild passt. Das funktioniert auch deshalb so gut, weil die Sänger allesamt extrem charismatisch wirken, auch durch Kostüme, Lichtregie und reduziertes Bühnenbild (Sebastian Hannak) zum Blickfang werden und durch ihre kraftvollen Stimmen dieses Werk aufrührerisch temperamentvoll interpretieren. Liebe äußert sich nicht in Herzschmerzarien, sondern in klaren Kantilenen.
Bariton Adam Kruzel in der Titelrolle führt Hans Heilings Liebessehnsucht in die dämonische Verzweiflung finsterer Tiefenlagen. Alt, grau, dominant, ausgelaugt, symbolisiert er den Kapitalismus kurz vor dem Herzinfarkt. Michaela Schneider bleibt als Anna rollenadäquat auf Distanz, in den Höhen sehr bestimmend, kraftvoll, laut bis schrill, voller Angst und Bedrängnis. Das gilt noch mehr für den silbernen Sopran Theodora Vargas als Königin der Erdgeister. Brillanten schillernd im schlichten grauen Kostüm ist sie ganz Lady, der das Herz weniger wegen des Sohnes als wegen der Sicherung des Besitzstandes bricht. Ähnlich angelegt, wenn auch im Dirndl ganz volksnah und stimmlich wärmer timbriert, ist Vera Egorova als Annas Mutter, die Hans Heiling in erster Linie als reichen Schwiegersohn im Visier hat. Steven Ebel als Konrad erscheint groß, in Holzfällerhemd und Turnschuhen, ein cooler Typ von der Straße, stimmlich rau, die Koloraturen nicht ganz perfekt, aber er passt er bestens ins kantige Rollenbild.
Für sängerische Höhepunkte sorgt auch der Regensburger Opernchor unter der Leitung Alistair Lille. Insbesondere auf den Rängen wird er zur revolutionären Kraft mit Dolby-Surround-Effekt. Dazu dirigiert Tom Woods das Philharmonische Orchester Regensburg mit Temperament, ohne es in den Vordergrund zu schieben. Er kristallisiert die Streicherbögen, die einzelnen Instrumenallinien, die Tiefen dieser Partitur glasklar ohne romantische Akzentuierungen heraus. Das mag nicht jedermanns Geschmack sein, unterstreicht aber absolut das Regiekonzept. Schade ist nur, dass die wuchtige Ouvertüre durch die Raumwechsel zwischen Bühne und Parkett zur Hintergrundmusik degradiert wird.
Allen „Recht und Frieden“ jubelt das Volk am Schluss, die tote Körperhülle Hans Heilings umringend. Der Clou ist, dass es kein echtes Happyend gibt. Denn der Kapitalismus ist natürlich nicht tot, er hat sich nur in sein Reich zurückgezogen. Ein gekonntes Resümee, das aus der Volkssage eine gesellschaftskritische Parabel macht und eine raffinierte Mehrwertstrategie für das Theater dazu. Eigentlich allerdings müsste man sich diese Inszenierung zweimal anschauen: einmal als Mitwirkender auf der Bühne und dann ganz traditionell vom Zuschauerraum aus.