Foto: Roland Schimmelpfennigs "Das schwarze Wasser", uraufgeführt in Mannheim. Katharina Hauter, Ensemble © Florian Merdes
Text:Vanessa Renner, am 12. Januar 2015
Wie wir zu denen werden, die wir sind, ist eine Frage nach persönlichen Lebensentwürfen. Zugleich ist es eine gesellschaftliche Frage nach den Chancen und Möglichkeiten, diese Lebensentwürfe zu verwirklichen. Auf deren Grenzen blickt „Das schwarze Wasser“ von Roland Schimmelpfennig, inszeniert von Schauspielintendant Burkhard C. Kosminski am Nationaltheater Mannheim.
Integration, Chancengleichheit, Einwanderungsland – abstrakte Schlagworte, die das Stück mit Leben füllt. Da ist Gastarbeiterkind Leyla, die schlanke Hübsche, deren Vater Sehnsucht nach der Türkei hat. Da ist Frank mit den grünen Augen, sein Vater und Großvater waren Minister. Frank sagt: „Bildung ist alles“. Ihm stehen die Tore zu Studium und Bildung weit offen.
Leyla und Frank verlieben sich in einer Sternennacht im Freibad ineinander. Mit ihren Freunden sind sie über den Zaun geklettert. Zwei Gruppen: Villenviertel trifft Multikulti-Vorstadtsiedlung. Sie schwimmen im schwarzen Wasser, tanzen, reden, fahren im offenen Oberdeck des Busses. Ausgelassene Freude, in der die Jugendlichen zueinander und eine gemeinsame Ebene finden. Ein Miteinander voller Möglichkeiten und Zukunftsperspektiven: Frank und Leyla als Paar. Olli aus dem Hause eines Fleischimperiums als Lyriker. Ayse nicht Sprechstundenhelferin, sondern Zahnärztin.
Doch von Beginn an liegt im Zauber der gemeinsamen Nacht die zukünftige Realität. Das ist die Stärke des Stücks, in dem sich die Zeitebenen überlagern. In Momentaufnahmen bricht die Zukunft in die Vergangenheit, leuchtet die Vergangenheit in der Jetztzeit auf. Auch Erzählerfigur und Rollen wechseln ständig. Flott und präzise wie Pingpong-Bälle spielen sich die sechs Schauspieler eindrucksvoll die Worte zu und liefern dabei den Subtext („das war eine Pointe“) gleich mit. Sprachwitz und Humor, bis hin zum eingespielten Modern Talking-Hit, bewahren das Stück vor Sentimentalität, ohne den Inhalt zu verwässern.
Dabei reichen den Schauspielern wenige Requisiten wie Perücken oder eine Gießkanne, um Bilder auf der Bühne zu entwerfen. Das liegt an der plastischen Sprache, die alle Sinne anspricht und über Wiederholungen und Variationen ihren Rhythmus findet. Genauso überzeugt die Choreographie der einzelnen Szenen, schön-komisch die pantomimische Darstellung einer ruckelnden Fahrt in der U-Bahn.
Das wohl stärkste Bild ist das titelgebende schwarze Wasser. Am Ende des Stücks taucht es wieder auf. Im Rinnstein neben dem Bürgersteig, auf dem sich Frank und Leyla an einem verregneten Tag nach zwanzig Jahren wiedersehen. Er: Anwalt, bald Minister, Ehemann. Sie: Kassiererin, Single. Nicht mehr die Sterne spiegeln sich im Wasser, sondern die Gewissheit, dass alles so kommen musste, wie es kam. Das ist eine Lesart. Eine andere wäre möglich: die Nacht im Schwimmbad ist ebenso real wie die Begebenheiten nach zwanzig Jahren. Die Sehnsucht der Jugendlichen, gesellschaftliche Brüche zu überwinden, ist so wahr wie die Grenze zwischen Villenviertel und Vorstadtsiedlung. Das Miteinander der einen Nacht als Utopie. Macht was draus, scheint uns das Stück zuzurufen.