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Eine Metaebenen-Verschwurbelung

Mischa Spoliansky: Wie werde ich reich und glücklich?

Theater:Nationaltheater Mannheim, Premiere:21.01.2017Autor(in) der Vorlage:Felix JoachimsonRegie:Jan Dvorák/Thomas Fiedler/Julia Warnemünde (Kommando Himnmelfahrt)Musikalische Leitung:Matthew Toogood

Es gibt ja den Glauben, dass man sich Sachen nur oft genug sagen muss, und schon entfaltet die Autosuggestion ihre heilsame Wirkung. Zum Beispiel folgende autogene Anweisung: Man schaue in den Spiegel und sage sich „Ich bin glücklich“. Bitte wiederholen, bis es sich auch so anfühlt. Möglicherweise hat so am Samstagabend im Nationaltheater Mannheim auch die Selbsthypnose des Publikums funktioniert, das der Premiere von Mischa Spolianskys „Wie werde ich reich und glücklich?“ einen johlenden Applaus schenkte. Schließlich durften sie, sich selbst anschauend, auf derselben großen Leinwand wie die Künstler, hautnah und live, im Chor „Ich bin so glücklich“ singen. Dieser Happy-End Moment hatte eine nicht zu unterschätzende euphorisierende Wirkung. Und am nächsten Morgen der katerähnliche Zustand: Was haben wir da eigentlich gesehen? Also mal von vorn.

Wir reden also von einem Gedankenspiel, das Felix Joachimson 1930 als „Kursus in zehn Abteilungen“ verfasste, und aus dem der Chanson-Komponist Mischa Spoliansky die schönsten Momente vertont hat. Diese Kabarettrevue über den Aufstieg des Hochstaplers Kibis im Berlin der Weltwirtschaftskrise war ein Riesenerfolg, wurde nach kurzer Zeit verfilmt – und war nach etwas längerer Zeit ziemlich nachhaltig vergessen. Anfang der 2000er tauchte sie dann wieder auf deutschen Bühnen auf, nun ist sie in Mannheim zu bewundern. Mehr oder minder jedenfalls. Denn das dort für die Inszenierung zuständige Theaterkollektiv Kommando Himmelfahrt, dessenkomponierender Protagonist Jan Dvorák zugleich Chefdramaturg am Nationaltheater Mannheim ist, umschachtelt die eigentlich eher schlichte Revue-hafte Geschichte gleich mit mehreren Metaebenen und multimedialen Rahmen, so dass einem ganz schön schwindlig werden kann.

Die Geschichte selbst dreht sich um Kibis – der ist arm und pfeift aufs Glück. Auch Marie ist unglücklich und hat die Nase voll von ihrem Reichtum. Die Ratgeber-Broschüre „Wie werde ich reich und glücklich?“, die mit der Post in ihre jeweiligen Häuser im Berlin der späten Zwanziger hineinflattert, verhilft dem einen zu schnellem Reichtum und der anderen zur ersehnten Glückseligkeit – vorerst. Doch dann kommt die sarkastische Parabel ins Rollen, und als Moral von der Geschicht’ schält sich heraus: So schnell lässt sich das Leben eben nicht zum Besseren wenden, und ein kleines Ratgeber-Heftchen wird dir dabei übrigens auch nicht helfen können. Geschenkt. Nur leider mag man der angebotenen Lösung auch wieder nicht trauen, mündet doch der Hedonismus, der sich an den Augenblick hingibt („So ist das Leben!“), in eine scheinheilige Flucht ins forcierte Eheglück unter dauerhaft-verkrampfem Lachen.

Das man so ein Sujet relativiert, einrahmt, zum Gegenstand eines Metadiskurses macht: nur zu verständlich. Nur leider führt die suggerierte Metaebene hier noch weiter ins Abseits. Durch die Figur eines peinlich unoriginellen Regisseurs mit schwarzem Rollkragenpulli, der vorgibt, das Stück in Erinnerung an einen gesehenen Film zu rekonstruieren, und der im Namen dieser seiner Mission an den unmöglichsten Stellen dazwischenquasselt und schließlich zum eigentlichen Verlierer des Abends wird, manövriert sich die Inszenierung noch weiter ins Abseits einer verkrampften Kalauerei. Zumal dieser Spielleiter von dem Schauspieler Matthias Bernhold leider ziemlich schablonenhaft karikiert wird. Die letzten fünfzehn Minuten der Aufführung köcheln dann buchstäblich auf einem Dauerlachen vor sich hin, was anderes bleibt hier ja auch niemandem mehr übrig.

Natürlich: Das alles ist als selbstreferentielle Überzeichnung des naiven Glücksversprechens der Vorlage gemeint – und hätte so vielleicht auch wirklich ein gekonnt radikaler Regiecoup sein können: Wir feiern hier die Leichtigkeit des Seins in der Hochstapelei, also lasst uns alle gemeinsam auch das Ende hochstapeln. Doch für diesen höchst zirkulären dramaturgischen Bogen hat die Umsetzung einfach nicht den nötigen Pfiff gehabt. Zwar haben Julia Warnemünde, Jan Dvorák und Thomas Fiedler von Kommando Himmelfahrt gemeinsam mit dem Videomeister Carl-John Hoffmann und dem Bühnenbildner Michael Graessner die Bühnenmaschinerie bis an die Ränder des Möglichen angekurbelt – es gab Live-Kameras und -Schnitt auf der Bühne, Requisiten fielen aus allen Himmelrichtungen den Darstellern zu, das raffinierte Simultangeschehen auf mehreren Erzähl- und Fiktionsebenen verwischte köstlich seine eigenen Spuren, Techniker sprangen stets zur Stelle, um Schiebevorrichtungen, rote Vorhänge, Leinwände zu bedienen. Doch dabei kam leider so einiges an Personenführung, dramaturgischer Originalität und musikalischem Gespür für Spolianskys Nummernrevue unter die Räder der Betriebsamkeit. Pointen blieben allzu oft zu offensichtlich, der Rhythmus des Geschehens hing immer wieder durch, obwohl er eigentlich Fahrt aufnehmen sollte, die Rahmenfigur des Regisseurs und Moderators, die im Revuetheater ja eine eigentlich nicht-triviale Funktion einnehmen könnte, verschaffte dem Stück oft genug einen eher unnötigen Ballast als eine besondere Note.

Ein positives Gegengewicht auf dieser Metaebene bildete allerdings die Figur des Herrn Müller, als Gehilfe des Regisseurs der Running Gag auf zwei Beinen, den Schauspieler Merten Schroedter mit vollem Einsatz verkörperte und so für die nötige Energie eines hastig-wuselnden Alleskönners sowie für die ebenfalls nötige Portion haariger Männerbeine im Glitzerkleidchen sorgte, um die situative Leichtigkeit der Revue-Komödie hochzuhalten.

Und die Musik? Auch die schreit ja bei einer klassischen Zwanziger-Revue nach Darstellungsformen im Modus der überspitzten Ironie oder der grellen Kleinkunstbühne. Während Joachim Goltz mit seinem geerdeten Bariton eines Charmeurs den naiven, authentischen Opportunisten Kibis gibt und den Wechsel von Sprache zu Gesang immer wieder hinbekommt, müht sich sein Schwiegervater, der überaus melodische, ins Poetische ausschweifende Bass Stefan Sevenich, hörbar mit den Gesangsmodalitäten der gar nicht so leichten Muse ab. Maria Markina setzt auf ihren auffälligen russischen Akzent als schluchzende und schmachtende Lis, so schmeichelt auch ihr kokettierender Mezzosopran den für sie an sich unbequemen Arrangements. Und Nikola Hillebrand mimt treffend mit spitzem, jungem und zuweilen auch strengem Sopran das nörgelnde Prinzesschen Marie und rettet so manche laute Ensemble-Nummer durch akzentuierte Dynamik – ohne die unausgewogene Orchestration kaschieren zu können, der die Dissonanz an manchen Stellen so gar nicht stehen will.

„Dilettantismus!“, schreien die Darsteller in Richtung des fingierten Regisseurs. Tja, was soll man da machen? Das ist ja auch der Nährboden des Ganzen: Hochstapler, Lebenskünstler, Opportunist – der Lebensweg eines scheinbar naiven Mannes, der durch eine Aneinanderreihung von glücklichen Wendungen zu mehr Ruhm, Geld und Glamour kommt, hat gerade Konjunktur. Ebenso ergeht es der Figur des Kleinen Mannes, der in der risikoreichen, von der Wirtschaft regierten Welt ein namenloser Niemand geworden ist. Wie werde ich also reich und glücklich? Wer will das gerade heute nicht wissen? Aber so sehr es Kommando Himmelfahrt auch gelingt, das Stück technisch und szenisch ins 21. Jahrhundert zu übertragen, so sehr sie ihre Vorlage mit fiktionalen Rahmungen verfremden – so sehr schleicht sich doch eine Schieflage in die Inszenierung ein, die das Unternehmen letztlich zum Kentern bringt.