Foto: Robert Künzli (Görge) © Jörg Landsberg
Text:Andreas Berger, am 17. April 2016
Am Anfang ist dieser Traumgörge ja ein richtiger Schnarchsack, liegt da breit in seinem Bett und tünt von Katzen und Katern. Mamas Märchen belegen seinen Sinn. „Die Märchen müssen lebendig werden!“, schwärmt er, dabei hätte seine hochattraktive Verlobte Grete sicher ganz andere märchenhafte Ideen.
Für seine Inszenierung von Alexander Zemlinskys lange verschollenem und erst 1980 uraufgeführtem Frühwerk an der Staatsoper Hannover hat sich Regisseur Johannes von Matuschka für einen Traumraum entschieden (Bühne: David Hohmann), eine durch Gazevorhänge transparente Verschachtelung von dunklen Zimmern, in denen etwas merkwürdige Traumfiguren herumschleichen: eine Dame mit einem Haus als Kopf, aber auch ein Skelettfisch, ein Schwanenköpfiger, ein Jogger, psychologisch wenig deutbare Erscheinungen, naja. Trotzdem ist die Idee gut, dass so die Bürger und Bauern der Wirklichkeit nur als Zitate hineinlugen in Görges Traumwelt, und, wie durch seine Brille gesehen, sich in charakteristischer Choreographie bewegen. Da wird der präpotente Militär Hans mit seinem Liegestütz und Kumpeltatschen gleich als geiler Hallodri erfasst, der viel besser zum neckischen Gretchen passt. Christopher Tonkin singt ihn mit glanzvollem Bariton, und Solen Mainguené ist mit erotisch schillerndem Sopran die Grete.
Auf Görge dagegen wartet ja längst die Traumprinzessin mit rotem Haar und blauem Wallemantel auf der Schaukel. Dorothea Maria Marx bringt dafür ihren hell leuchtenden Sopran ein. Als Görge ihr folgen will, entschwebt die Schaukel, so wie Träume zerstieben, will man sie greifen, ihm bleibt der fallende Mantel. Und so stürmt er auf Suche in die Welt.
Der Regisseur lässt ihn nun die Wirklichkeit ungeschützt erleben, da ist keine Traumgaze mehr. Dafür eine lumpige Welt, mit Sauferei, Anmache und einem gewaltbereiten Mob. Von Matuschka spart sich dabei die naheliegenden Pegida-Assoziationen, hatten wir in Hannover bei Kay Voges‘ „Freischütz“ ja auch gerade zur Genüge. Sein Pack ist bauernkriegszeitlich, und mit Gertraud im ausgefransten Kleid und roten Haar auch schnell die „Hexe“ bei der Hand, auf die sich der pfingstlich erglühende Volkszorn entladen will. Vorwand ist, dass sie, die Liederliche, den Görge von seiner Sendung als Bauernführer abbrächte. Stefan Adam gibt hier mit kräftigem Bassbariton den Rädelsführer.
Aber Görge hat in Gertraud nur eine Gleichgesinnte entdeckt, eine mütterlich Tröstende, von Träumen Wissende. Zu ihr bekennt sich Görge auch gegen die Meute, der Drömbüdel wird Handelnder! Zemlinsky gönnt ihnen sogar ein märchenhaftes Happyend, lässt sie entkommen und im Nachspiel zum traumhaften Musterpaar werden, das mit seiner Mühle die Dorfgemeinschaft nährt und bildet.
Das aber will nun der Regisseur nur noch als Traum gelten lassen. Görges Bekenntnis steht, aber ob sie dem Pöbel entkommen, bleibt offen. Das Nachspiel könnte auch ein Traum sein auf dem Scheiterhaufen. Wir sind zurück in den Gazezimmern. Er erkennt in Gertraud seine Prinzessin, doch auffällig totengleich lagert sie unter weißen Nelken, während das Dorf in stilisierten Jubelgesten ihnen als Wohltätern huldigt. Alle verschwinden im Raum, und Görge öffnet den Mund wie zum Schrei, als sähe er Furchtbares. Vielleicht Gertrauds Tötung. Die Streicher verflüchtigen sich in höchste Höhen, ein tiefer Grundakkord bleibt. Albtraum? Wirklichkeit?
Hier hätte von Matuschka seine Assoziationen konkreter machen dürfen. Seine Traumszenen sind mitvollziehbar, aber es fehlt ihnen das Abgründig-Gefährliche, das sich sogar aus Zemlinskys Grimm-Zitaten schlagen ließe. Robert Künzli ist ein Görge mit starkem, metallisch glänzendem Tenor, der je dramatischer je strahlender anspricht. Und Kelly God bringt als Gertraud einen schön weichen Ton mit, den sie dramatisch, doch klangschön zu weiten versteht. Mark Rohde am Pult weiß Zemlinskys chromatisch webende, oft üppige, meist aber vor allem nervös fiebernde Musik in großem Fluss und Spannung zu halten. Das blubbert so impressionistisch weich am Mühlenbach, strahlt wagnerisch auf zu Görges und Gertrauds Duett am Pfingstfeuer, rottet sich marschhaft zum Pogrom, klingelt mit Harfen zu ihrem Glück im Nachspiel. Müsste man viel öfter spielen. Schön, dass Hannover diesen „Traumgörgen“ hat.