Koskys respektiert die Besonderheiten dieser Kunstform in erstaunlicher Weise. Fast könnte man sagen: Er feiert sie. Die Dialoge bringt er natürlich auf Deutsch, sonst würde deren Humor gleich gar nicht funktionieren. Aber er verzichtet auf eine inhaltliche Aktualisierung und verkneift sich alle Seitenhiebe auf die Salzburger Schickeria oder auf österreichische politischen Scharaden. Sein Humor ist auch hier oft derb, drastisch und teils ordinär. Die paar Gimmicks aus dem Milieu der Schwulen- oder Transen-Revuen wirken aber eher wie ironische Selbstzitate, gewiss nicht wie Provokationen. Was diesen Abend vor allem prägt, das ist einerseits die hochverkünstelte Bewegungsregie der Sprechszenen, deren hektisch überdrehte Zappeligkeit an die Stilmittel von Comic, Slapstick oder Kintopp erinnert, und andererseits die turbulente Choreographie der Tanzensembles, die sich aber weitgehend im Rahmen klassischer ästhetischer Vorbilder hält. Kosky betont das Artifizielle dieser Kunstform viel stärker als das Aktuelle. Sie ist für ihn ein Amüsiertheater, das sich in Victoria Behrs historisierenden Glitzerkostümen selber feiert. Und der Bühnenbildner Rufus Didwiszus schafft dazu das historisierende Glitzerportal und eine Bühnenwelt, die nie etwas anderes sein will als Kulisse.
Dieser Künstlichkeit setzt Max Hopp die Krone auf. Da Kosky hier mit internationalen Jet-Set-Sängern arbeitet und nicht mit seinem auf deutsche Texte spezialisierten Ensemble in Berlin, hätten diese Sänger die Sprechtexte kaum pointiert über die Rampe bringen könnten. Das übernimmt Max Hopp – für alle! Sie bewegen den Mund, und Hopp spricht, kräht, grunzt, schnalzt für sie. Das Quietschen der Türen, das Knarren von Jupiters steifen Beinen, das Klacken von Orphées Lackschuhen übernimmt er gleich mit. Er sorgt sozusagen im Alleingang für den kompletten Soundtrack der Dialoge und macht dadurch die ganze Produktion zu einer Travestie der besonderen Art.
Die Bewegungschoreographien der Massenszenen und Tanzensembles wurden von Kosky und seinem Choreographen Otto Pichler heftig mit Turbulenz aufgeladen – und von den Tänzern mit einer atemberaubenden Perfektion umgesetzt. Aber auch hier sieht man überwiegend Versatzstücke traditioneller Figuren, Sprünge und Bewegungsabläufe. Dieser Abend ist ein Fest der unterhaltsamen Kunst – um der Kunst willen. Darin erschöpft er sich aber auch. Bei der Uraufführung 1858 im Théâtre des Bouffes-Parisiens gab es die Befürchtung (oder Hoffnung?), Napoleon III. könnte Anstoß an der Parodie seiner kaiserlichen Hoheit in der Jupiter-Figur Anstoß nehmen. Und der Kritiker Jules Janin geißelte die „Profanisierung des glorreichen Altertums“ (und befördertet damit Offenbachs Erfolg erst so richtig). Kosky dagegen räumt alle Steine des aktuellen Anstoßes beiseite.
Die Wiener Philharmoniker überraschen unter Enrique Mazzola gelegentlich mit wunderschön zarten Episoden und halten den Laden ansonsten präzise in Schwung und auf Tempo. Und die Sänger legen es hier natürlich nicht durchweg auf Schöngesang an, sondern outrieren, schreien und krächzen, wo es der turbulenten Sache dient, nach Herzenslust. Sie zeigen aber auch, was sie können. Und das ist etwa im Falle von Kathryn Leweks biegsamer Eurydike oder Joel Prietos schlankem Orphée eine Menge. Martin Winkler macht aus dem Jupiter einen komischen Kintopp-Onkel, Marcel Beekman verpasst dem Pluto eine Portion Transvestiten-Outriertheit – und Anne Sofie von Otter stellt L’Opinion publique als große schwarze Anstandsdame auf die Bühne. Manche an diesem Abend vorgeführte Sexgymnastik wirkt ziemlich übertrainiert, und die verkünstelte Turbulenz bleibt manchmal vielleicht ein bisschen zu kontrolliert. Aber insgesamt war das schon ein mitreißender Abend, dem am Ende nur eines fehlte: eine schmissige Cancan-Zugabe nach all den Ovationen.