v.l.n.r. - Lucca Züchner, Verena Rendtorff, Markus Campana, Panos Papageorgiou, Nick-Robin Dietrich und Rafael Mayer

Eine Kindheit in der Lutherzeit

Rudolf Herfurtner: Magdalena Himmelstürmerin

Theater:Schauburg München, Premiere:15.10.2016 (UA)Regie:Thorsten Krohn

Das Lutherjahr naht mit Riesenschritten. Das müssen auch die Theater abfeiern. Forte oder von Düffel? Schon 2013 hat Rudolf Herfurtner die Geschichte der Magdalena Reinprecht als Roman veröffentlicht. Er erzählt von einem jungen Mädchen aus der Zeit der Reformation, deren sechsjähriger Bruder Wenzel schwer verletzt ein Bergunglück, bei dem der Vater umkommt, überlebt. Aber statt einen Medicus herbei zu holen, entscheidet sich die Mutter für einen Ablassbrief des Predigers Tetzel. Wenzel stirbt und auch die Mutter darbt vor sich hin, so dass Magdalena zu ihrer Tante nach Wittenberg kommt, die ihrerseits als Hexe verschrien ist. Eingebunden in diese Geschichte ist wiederum eine Kriminalhandlung, in der Vigo als der brutal Agierende, der dann zum Folterer der Inquisition mutiert, und von Rasso, der Vigo folgen muss und doch in den Begegnungen mit Magdalena eigene Wege geht. In Wittenberg trifft sie Veit, den Theologiestudenten, Sohn des Bergdirektors im heimischen Jüterborg, der Magdalena Schreiben und Lesen lehrt und ein glühender Anhänger Luthers ist.

Einfühlsam führt Herfurtner die Widersprüche eines Jahrhunderts vor, die gar nicht so weit weg von unserer Zeit sind. Und er erzählt sehr unterhaltsam, ohne Holzhammer, eine in eine überwunden scheinende geschichtliche Formation eingewobene Kriminalgeschichte. Da Herfurtner aus bitterer Erfahrung nur noch Stücke schreibt, wenn er Aufträge bekommt, ist das Verdienst der SchauBurg München nicht hoch genug anzurechnen, den Autor zu einer Bearbeitung seines Romans aus der Lutherzeit, „Magdalena Himmelsstürmerin“, für das Theater zu bitten, denn Sujet wie Form sind für jedes Theater eine Herausforderung – und das nicht nur wegen der großen Besetzung.

Anzeige

In der Uraufführungsinszenierung an der Münchener SchauBurg entwickelt Thorsten Krohn ein grandioses Volkstheaterspektakel. Andreas Wagner hat dazu einen Raum geschaffen, der durch Podeste, die ein ungefähres Kreuz ergeben, ein schnelles Spieltempo ermöglichen. Ein Sandhaufen vor dem Podest markiert die Gräber von Wenzel und Mutter. Vor allen Dingen aber die Musik von Martin Fels mit den vielen Zitaten kirchlicher Musik aus dieser Zeit (Bach und Konsorten) schafft einen weiten atmosphärischen Raum. Und hier ist zuerst Regina Speiseder zu nennen, die mit ihrer lyrischen Sopranstimme Klangwelten schafft, die zugleich schön und unheimlich wirken. Wie es Krohn überhaupt gelingt, in seiner Lichtregie, die die Bühne im Halbdunkel lässt, zwielichtige Stimmungen zu erzeugen.

Krohn lässt das achtköpfige Ensemble in den historischen Kostüme von Ulrike Schlemm als eine Gruppe von fahrenden Spielern agieren. Mit Ausnahme von Lucca Züchner, die die Kraft der Magdalena wunderbar umsetzt, und von Stefan Mascheck als Rasso, der sich den revolutionären Ideen Müntzers anschließt, spielen Markus Campana, Nick-Robin Dietrich, Rafael Mayer und Verena Rendtorff mehrere Rollen. Der Figurenspieler Panos Papageorgiou ergänzt das Ensemble mit seinen Kinderpuppen. Mit diesem auch musikalischen Ensemble gelingen Krohn starke Bilder, ein holzschnittartiges Panorama einer Zeit, die denn doch nicht so fern ist. Und weil diese Bilder so sinnlich und stark sind, vermisst man auch die Psychologie der Figuren nicht, fragt man nicht nach den Handlungsmotiven. Lang anhaltender Schlussbeifall.