Der hat offenbar auch bei den szenischen Improvisationen auf dieser „Probebühne“ Pate gestanden. Denn die per Namensschild eingeführten Figuren, die Textprojektionen, die immer wieder auftauchen, der anti-illusionistische Gestus dieses Wort- und Gedankentheaters: All das erinnert an Brechts V-Effekte und sein episches Theater. Mit diesem kargen Setting spannt Kerkhof die Benjaminsche Gedankenwelt auf, ohne sie zu illustrieren oder durch allzu viel Handlung zu beunruhigen. Das ist gewagt, weil das Fehlen sinnlicher Momente den Abend spröde macht; aber es passt eben doch sehr gut zu diesem seltsamen Menschen und Denker, zum Fragmentarischen seines Philosophierens, zur Zerrissenheit seiner Gedankenwelt, die in der Bilder-Phantasmagorie den historischen Sinn sucht und im Disparaten das Aufblitzen einer Wahrheit. Und doch macht Kerkhof auch die Tragödie des Menschen Benjamin spürbar, weil die Personenführung so präzise ausformuliert ist. Man ahnt, dass dieser Grübler, Schöngeist und Flaneur nie angekommen, immer irgendwo gestrandet ist: sowohl in seinem disparaten Philosophieren als auch auf seinem ziellosen Lebensweg. Das ist stark.
Stark auch, weil Elias Grandy diese Musik wunderbar dirigiert. Er macht die Vielschichtigkeit spürbar, wo sie vielschichtig ist; die Erschütterung, wo sie sich verdichtet wie in jener Fünften Station, in der Ruzicka die „Jerusalem“-Chor-Episode aus seiner „Celan“-Oper zitiert und damit das Schicksal Benjamins in den Kontext des Antisemitismus bis hin zum Holocaust einordnet. Und wo am Schluss Henri Duparcs Baudelaire-Vertonung „L’invitation au voyage“ ziemlich unverblümt romantisch sich verströmen darf, da findet Grandy mit dem vorzüglichen Orchester einen unsentimental zarten Ton, und Kerkhof baut ein schönes Tableau vivant dazu. Das alles klingt im Vergleich zu Hamburg geradezu kammermusikalisch fein und sehr transparent, was der Musik erstaunlich gut bekommt.
Und dann die Sänger: Miljenko Turk braucht den Vergleich mit Dietrich Henschel in Hamburg nicht zu scheuen, sein Bariton entfaltet sich konturiert, kraftvoll, dunkel und in markanter Artikulation. Yasmin Özkan ist eine völlig andere Asja Lacis als Lini Gong in Hamburg: lyrischer, weicher, aber mit wunderschöner, glockenklar und flexibel strömender Stimme. Und Shahar Lavi ist eine dunkelglühende, auf interessante Weise mildherbe Hannah Arendt. Auch Denise Seyhan als Dora, James Homann als Gershom Scholem und Winfrid Mikus als Bertolt Brecht singen ihre Partien jederzeit rollendeckend. Und der von Ines Kaun einstudierte Chor, dem Kerkhof, was das Spielen angeht, an einigen Stellen auch pragmatisch entgegenkommt, macht seine schwierige Sache wirklich beeindruckend gut. Die Oper Heidelberg hat damit die Repertoiretauglichkeit dieser Oper unter Beweis gestellt, und ihre eigene beachtliche musikalische Kompetenz gleich mit. Das Publikum, so wurde aus der Premiere berichtet, war begeistert.
Termine: 17. Februar, 7/12./22./24. März, 8. April
Wir danken dem Theater und Orchester Heidelberg für die Erlaubnis zum Besuch der Generalprobe, nach dem diese Rezension entstand.