Foto: "Fühllosigkeit" der finnischen Autorin und Schauspielerin Pirkko Saisio © Bjørn Jansen
Text:Manfred Jahnke, am 14. April 2014
Finnische Theaterstücke sind nicht häufig auf deutschen Bühnen zu sehen. „Fühllosigkeit“ der Autorin und Schauspielerin Pirkko Saisio hat es nach der deutschen Erstaufführung 2007 in Rostock geschafft, ein zweites Mal am Theater Konstanz in Szene gesetzt zu werden. Der Rechtsanwalt Seppo, viel unterwegs, empfindet, dass seine Haut nur Gummi fühle, wenn er seine Frau umarme. Als sein Sohn Marko, Arzt, nach einer Blutuntersuchung den Verdacht streut, sein Vater sei an AIDS erkrankt, beschließt Seppo, seine Grenzen auszuloten. Er macht sich an Milva, die Braut seines Sohnes, heran. Die Familie kommt ihm auf die Schliche. Marko flüchtet in Arbeit, Tuula, seine Frau, wartet darauf, ihren Mann endgültig zu verlieren, Seppo selbst stürzt sich wieder in die Arbeit und Milva beginnt einen Job, weit weg, in Beirut. Ergänzt wird dieses Personal noch durch Toini, der Mutter Seppos, die dement im Altersheim lebt und für die komischen Töne in diesem Psychodrama sorgt. „Fühllosigkeit“ führt einen erfolgreichen Mann vor, der auf der Suche nach der Seele seine Grenzen zu überschreiten versucht und dabei seine Mitmenschen egoistisch misshandelt. Angesichts seiner vermeintlichen Todesnähe wird er zum Spieler, der aber nicht als strahlender Sieger abgeht. Sein Sohn hingegen, der den AIDS-Verdacht ausstreut und Milva als Mittel einsetzt, verlässt eindeutig als Verlierer die Bühne.
Für dieses komplexe Spiel hat der Raumdesigner und bildende Künstler Christian Pölzler ein symbolisches Bühnenbild geschaffen: Weiße Bodenfolien, auf die sich Bilder und Filme projizieren lassen, um die einzelnen Handlungsorte anzudeuten, sind kreuzförmig angeordnet, rechts außen befindet sich ein rechteckiger Kasten, der mal Tisch, mal Sarg, auch hier wieder abhängig vom Handlungsort ist und in unterschiedlichen Farben beleuchtet wird. Um das Publikum möglichst nahe an das Spiel heran zu holen, schaut das Publikum in der Konstanzer Werkstatt von zwei sich gegenüberliegenden Tribünen dem Spiel zu. Die Regie von Andreas Bauer versucht in seiner Inszenierung die Symbolik des Raumes auch in das Spiel aufzunehmen. Nicht immer sinnfällig, wenn Bernhard Leute als Beppo am Anfang einen Fisch aufbricht, der dann später auf dem Arm von Sarah Sanders als Milva auftaucht. Wenn denn durchaus christliche Symbolgesten immer wieder erscheinen, so ist der Regie doch wichtiger, die erotischen Spannungen zwischen den Figuren heraus zu arbeiten. Da knistert es nicht nur zwischen Seppo und Milva, sondern auch zwischen Mutter und Sohn.
Insgesamt erscheint die Aufführung in ihrer dynamischen Entfaltung statuarisch, zumal die großartige Maria Falkenhagen als demente Toini in ihrem Rollstuhl ständig in den Sichtlinien des Publikums bleibt, sozusagen abgestellt, aber nur in ihren Szenen in das Spiel einbezogen wird. Ein familiäres „Psychodrama“ lebt vom Ensemble. Und da hat Konstanz ein großes Potenzial. Nicht nur Maria Falkenhagen und Sarah Sanders zeigen feine psychologische Schauspielkunst, sondern auch Ulrike Lodwig als Mutter und Johannes Merz als Sohn Marko. Und Bernhard Leute verkörpert die verschiedenen Facetten seines Seppo auch in ihrer Brüchigkeit überzeugend.