Foto: Solisten des Stadttheaters Gießen in "Caterina Cornaro" © Rolf K. Wegst
Text:Michael Kaminski, am 28. November 2022
Die Uraufführung am 12. Januar 1844 im Teatro San Carlo in Neapel war ein Fiasko. Den alsbald erhobenen Vorwurf aber, das Publikum vorsätzlich mit miserabler Musik abgespeist zu haben, muss Donizettis letzte Oper nicht auf sich sitzen lassen: Cavatinen, Cabalettas und Ensembles sind glutvoll durchpulst, die Finali straff gebaut. Überhaupt tendieren die Formen zu Kürze, Gedrängtheit und rhythmischer Prägnanz. Freilich konfrontierte Giacomo Sacchèros auf einer Vorlage Jules-Henri Vernoy de Saint Georges fußendes Libretto das Publikum der Uraufführung mit für die Zeit gänzlich ungewohnten Bildern von Frau und Mann. „Caterina Cornaro“ verschwand daraufhin nahezu in der Versenkung. Das Theater Gießen bringt das Werk in Deutschland überhaupt zum ersten Mal szenisch auf die Bühne.
Die in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts angesiedelte Handlung: Die vom historischen Vorbild gleichen Namens beinahe völlig abweichende Caterina bereitet sich auf die Liebesheirat mit Gerardo vor. Doch zur Absicherung des venezianischen Einflusses auf Lusignano, den König von Zypern, wird die junge Frau von der Regierung der Serenissima in die Ehe mit dem Inselmonarchen gezwungen. Indessen hält ihn Caterinas standhafter Widerwille vom Beilager ab. Gerardo ist in einen geistlichen Ritterorden eingetreten. Gegen alle Usancen der Intrigen- und Rachedramaturgie schmieden nun die beiden männlichen Rivalen einen Freundschaftsbund, der sie in ihrer zur Geschwisterlichkeit verwandelten Liebe zu Caterina vereint. König und geistlicher Ritter mobilisieren das zyprische Volk gegen die feindliche Übernahme der Insel durch Venedig. Lusignano fällt, seine Sache aber siegt. Caterina appelliert als neue Herrscherin an Mut und Zuversicht der Zyprioten und nimmt des Volkes Treueid entgegen. Gerardo verlässt Zypern, um künftig einzig seiner religiösen Berufung zu leben.
Aus der Repräsentation befreit
Die Gießener plädieren überzeugend für das Werk. Regisseurin Anna Drescher begleitet die beiden Männer dabei, wenn sie sich Schritt um Schritt ihres Machismo entledigen. Das weibliche Objekt der Begierde bewegt die Männer durch Seelenstärke zunehmend zur Anerkennung als selbstbestimmtes Subjekt. Die ihr bewiesene männliche Solidarität eröffnet der Titelfigur den Weg, ins souveräne Herrscherinnenamt hineinzuwachsen. Ausstatterin Tatjana Ivschina zwängt die Ereignisse auf Zypern in eine oblonge, kühl ausgeleuchtete Vitrine, in der Titelfigur, König und Ritter konventionelle Erwartungen erfüllen sollen. Die sie freilich überwinden und weit hinter sich lassen. Ivschinas Kostüme für die Bewohner der Mittelmeerinsel historisieren maßvoll. Einzig Caterinas Staatsrobe prunkt mit opulenter Renaissance. Zunächst zwängt die höfische Gewandung ihre Trägerin ein, doch schließlich beglaubigt er die souveräne Herrscherin.
Auch musikalisch gewinnt die Produktion: Jan Hoffmann entlockt dem Chor und Extrachor des Hauses dramatische Verve und Durchschlagskraft. Vom Pult aus befeuert Vladimir Yaskorski das Philharmonische Orchester Gießen dazu, das Bühnengeschehen unter beständige Hochspannung zu setzen. Julia Araújo verleiht der Titelpartie in stupendem Zusammenklang reiche Valeurs, Strahlkraft und Attacke. Den tenoralen Anforderungen an Gerardo hält Younggi Moses Do tapfer stand. Für Lusignano bietet Grga Peroš seinen ebenso eleganten wie durchsetzungsfähigen Bariton auf. Die limitierten Möglichkeiten der kaum über die Katalysatorfunktion hinausgehenden Partie des venezianischen Intriganten Mocenigo nutzt Clarke Ruth optimal.
Kein Zweifel, das Stadttheater Gießen belebt mit „Catarina Cornaro“ ein intensives Stück Musiktheater wieder.