Foto: Ensembleszene aus der Ulmer Uraufführung © Theater Ulm
Text:Jörn Florian Fuchs, am 27. Juni 2014
Unmittelbar vor Beginn dieser Uraufführung besiegten die deutschen Fußballer die USA. Sogar im Foyer des Ulmer Theaters konnte man das Match mitverfolgen, um kurz vor Acht war dann Schluss und stracks startete ein gänzlich anderer Wettkampf, bei dem die beiden Nationen allerdings auch eine Rolle spielten. Albert Einstein schrieb 1939 nämlich einen legendären Brief an den amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt und warnte vor der zerstörerischen Macht des Atoms, was Roosevelt dazu veranlasste, die erste Bombe zu bauen…
Im Musiktheater „Erlöst Albert E.“ von Komponist Gerhard Stäbler und Librettist Matthias Kaiser spielt der Brief eine zentrale Rolle, er wird vorgelesen, während ein düsterer, aber auch fast schon tanzbarer Soundtrack wummert. Hier ist für einen Moment Ernsthaftigkeit angesagt, ansonsten geben die kreativen Köpfe hinter den Kulissen und die Akteure auf der Bühne dem Affen Zucker. „Erlöst Albert E.“ ist eine böse Groteske, ein Science-Fiction-Kasperltheater mit nicht nur einem doppelten Boden, sondern zahlreichen Ebenen und Verweisen. Alles beginnt in der Pathologie, wo der Arzt Thomas Harvey das Gehirn des kurz zuvor verstorbenen Albert Einstein seziert und einen Teil davon verspeist. Ersteres ist historisch verbürgt, letzteres natürlich Fiktion. Der Tote wehrt sich und vermehrt sich. Als zeternde Frau tritt er auf oder als herrlich schräg musizierender Geiger (sensationell: Burkhard Solle) oder gar als Schar von Choristen – alle Einsteins verbindet die Frisur, alle besitzen einen Hang zum Zunge herausstrecken. Plötzlich tauchen fünf ‚Freaks‘ auf und wollen dem Treiben ein Ende bereiten, mittels Zeitmaschine reisen sie zurück und versuchen, die Eheschließung von Einsteins Großeltern zu verhindern. Gleich drei Mal geht’s in die Vergangenheit, doch richtig Erfolg haben sie nicht. Oder vielleicht doch? Der Sarg ist nämlich am Ende leer, das Physikgenie verschwunden und dem Publikum wird die Frage entgegen gerufen „Gibt’s uns?“
Auf der von Britta Lammers gestalteten Bühne lässt Regisseur Philipp Jeschek ein sehr buntes und sehr überdrehtes Ensemble auftreten, viele szenische Pointen sitzen und es macht schon Spaß, dem fast durchgehend obergärigen Spiel zuzusehen. Doch der Abend dauert zwei Stunden und ist mindestens ein Drittel zu lang. Auch Gerhard Stäblers Partitur fängt im Schlussteil an zu schwächeln. Was zuvor wirklich brillante Theatermusik war, ermüdet zunehmend. Das liegt sicher nicht an Michael Weigers exzellentem Dirigat oder den guten Gesangsleistungen – allen voran Girard Rhoden als Harvey – sondern an der Überfülle und Redundanz von Ideen. Stäbler schreibt den Solisten sehr differenzierte Dinge in die Kehlen, man hört Zischen und Flüstern, etwas altbackenen Ausdrucksgesang der 1980er Jahre sowie komplexe Intervallsprünge, die ans asiatische Theater erinnern. Das Tempo ist meist schnell, die Dynamik grell. Im Orchester finden sich Preziosen wie ein Spielzeugklavier oder Rasseln, es gibt großartige Schlagzeugeinsätze, viel Ausgeflipptes. Originell ist das zweifellos, jedoch alles wiederum zu lang und letztlich zu schrill.
Dass auf keiner Ebene Raum zur Reflexion bleibt, ist sehr schade, so wird man dem gebürtigen Ulmer Einstein in Ulm nur begrenzt gerecht. Anders formuliert: es war ein relativ netter Abend mit relativ schönen Ideen, der vom Publikum relativ freundlichen Applaus bekam.