Szene aus dem „Rheingold” an der Oper Bern

Eine assoziative Reise

Richard Wagner: Das Rheingold

Theater:Bühnen Bern, Premiere:12.12.2021Regie:Ewelina Marciniak Musikalische Leitung:Nicholas Carter

Im kommenden Salzburger Festspielsommer wird die junge polnische Regisseurin Ewelina Marciniak ein großes Projekt rund um die mythische Figur der Iphigenie inszenieren. In Polen ist Marciniak längst etabliert, reüssierte vor allem mit viel Zeitgenössischem, unter anderem Jelinek. 2018 gab sie in Deutschland ihr Debüt mit Shakespeares „Sommernachtstraum“, 2020 erhielt sie den FAUST-Theaterpreis für ihre Sicht auf Szeczepan Twardochs Roman „Der Boxer” am Hamburger Thalia Theater. Die Aufführung wurde auch zum Streaming-Highlight während des ersten großen Lockdowns in Deutschland, detailgenau und soghaft war das. In Bern hat sich Marciniak jetzt eines Mammutwerks angenommen, Wagners „Ring des Nibelungen”. Florian Scholz, mehrere Jahre überaus erfolgreicher Intendant in Klagenfurt und seit heuer in der schweizerischen Hauptstadt tätig, geht ein gewisses Risiko ein, eine bisher nur Sprechtheater inszenierende Künstlerin für die Tetralogie zu verpflichten. Marciniak gilt als ebenso kühne wie kühle Stückbefragerin, mit klaren ästhetischen Vorstellungen und einer großen Portion Verspieltheit. Genau dies erlebt man auch beim „Rheingold”, wenn die überblondierten Rheintöchter mal reine Sängerinnen, mal Tänzerinnen, mal irrlichternde Wesen aus anderen Sphären sind – bisweilen auch in größerer Besetzung als das gewohnte Dreierpack.

Alberich und das blonde Gold

Marciniak zeigt zunächst ungemein klar und berührend einen Kriegsheimkehrer namens Alberich, der statt ungelenk herum zu taumeln, zur platschenden Musik zuckt und grimassiert. Ein Traumatisierter, der vermutlich viel auf dem Gewissen hat, eine blonde Frau bleibt regungslos vor ihm liegen, mit bis zum Slip hochgezogenem Rock. In diese Szenerie schiebt sich allmählich Märchenhaftes, Mythologisches hinein. Und es gibt auch das berühmte Gold, allerdings ist es reines Dekor, was spätestens dann klar wird, als Bühnenarbeiter mit großen Karren anrücken auf denen „Dekor” steht (sie entfernen auch das blonde Opfer). Schnitt. Eine rot-perückte Tänzerin, Animateuse, Spiel(ver)führerin erweckt Obergott Wotan und seine Gattin Fricka zum Leben. Die Dame wird öfters auftauchen und herum huschen, ebenso wie ein wirklich sensationelles Tänzertrio, das mal als junge wilde Kollegen der als Gangsta-Rapper auftretenden Riesen Fafner und Fasolt erscheint, oder auch als wütende kannibalistische Figuren, oder wiederum als ziemlich wilde Jungs in Frauenkleidern.

Manche Figuren werden gespiegelt, die Götter sehen sich beispielsweise alten, verwachsenen Doubles gegenüber, auch bühnentechnisch gibt es reichlich Effekte mit Spiegeln, Lichtreflexen, plötzlichen farblichen Veränderungen. Marciniak verbindet mühelos und wunderbar sinnlich mythische Bilder mit einem konkreten Sozialstück der Gegenwart, lässt manches im Stück unangetastet, während sie ihre Protagonisten über anderes buchstäblich ironisch den Kopf schütteln lässt. Dieses „Rheingold” ist eine assoziative Reise, ein Reflexionsangebot, dabei in jedem Moment präzise und emphatisch. Trotz der Ideenfülle wirkt hier nichts beliebig oder austauschbar.

Famoses Ensemble

Meisterhaft agiert und singt das Ensemble, Josef Wagners schmierlappiger Wotan überzeugt mit schneidig machtvollen Tönen, Marco Jentschs Loge wirkt kleidungstechnisch einem sehr biederen Büro entsprungen (das Nibelungen-Heer arbeitet auch in solch einem Ambiente), vokal schillert er herrlich sinister. Robin Adams gelingt nach kurzer Vorglühzeit ein (im doppelten Sinne) toller Alberich, Michał Prószyńskis Mime hingegen merkt man seine Angstzustände gelegentlich auch vokal an. Interessant ist die Besetzung der von Fasolt begehrten Freia mit Masabane Cecilia Rangwanasha, eine schwarze Sängerin, die mit hinreißend warmer Stimme ihre fein aufeinander abgestimmten Trashklamotten gleichsam transzendiert…

Dirgent Nicholas Carter ging mit Florian Scholz von Klagenfurt in die Schweiz und kreiert mit dem Berner Symphonieorchester einen klar konturierten, dabei sehr flüssigen und farbigen Wagnerklang. Leider hatten die Hörner (nebst einigen Verwandten) zu Beginn arge Mühen bei Intonation und Koordination.

Am Ende erwartete man bei dieser durchaus radikalen Regie eigentlich ein paar Buhs. Aber es war nur Jubel zu hören und es wäre toll, wenn die Kraft und Fülle dieses Abends auch die weiteren Ring-Teile durchströmen würde.