Foto: „Der Boxer“ © Krafft Angerer
Text:Detlev Baur, am 3. Dezember 2020
Im September 2019 hatte die Uraufführung des Romans „Der Boxer“ am Hamburger Thalia Theater in der Spielstätte Gaußstraße Premiere. Zwei Monate später wurde eine Aufführung abgefilmt. Und nun, zwei Wochen nach der Verleihung des Deutschen Theaterpreises im Bereich Schauspielregie an „Der Boxer“, wird Ewelina Marciniaks Inszenierung im Rahmen des digital veranstalteten Prager Theaterfestivals deutscher Sprache gestreamt.
Der zweistündige Stream zeigt ziemlich schnell: Die Verleihung des FAUST an „Der Boxer“ ist vollkommen gerechtfertigt. Zunächst einmal als geglückte Romanadaption eines hierzulande eher unbekannten polnischen Gegenwartsromans: der jüdische Boxer Jakub Shapiro kompensiert im Warschau der 1920er und 1930er Jahre die Ausgrenzung als Jude mit Gewalt, mit vielfachen Beziehungen zu Frauen und mit materialistischer Befriedigung als mafiöser „Geschäftsmann“. Die Inszenierung ist auch als Auseinandersetzung mit deutsch-polnisch-jüdischer Vergangenheit des 20. Jahrhunderts gelungen, ebenso als grundsätzliche szenische Befragung von urmenschlichen Themen, unter anderem als intensive Spiegelung des Verhältnisses zwischen den Geschlechtern, keineswegs ist „Der Boxer“ vor allem eine Männergeschichte. Die Regie und die Darstellerinnen und Darsteller pendeln zwischen Einzelfigur in Shapiros düsterer Geschichte in einem Polen vor hundert Jahren einerseits und ¬ im engen Austausch mit dem Publikum ¬ zeichenhafter Gestalt im Heute und Immer. In jeder Hinsicht scheint die Inszenierung fein und gleichzeitig wirkungsstark austariert, die Bühne von Miroslav Kaczmarek lässt in einem übersichtlichen Chaos mit Sand und wenig Tand vor einem Spiegel eine weite Spielfläche entstehen, das Ensemble mit Sebastian Zimmler in der Hauptrolle wirkt konzentriert und unverkrampft offen für die stetige Zuspitzung der Situation.
Und doch: Gerade das Spiel der sieben Darstellerinnen und Darsteller und (moderat eingesetzter) Trompetenspielerin ist im Stream nicht wirklich beurteilbar, schließlich spielten sie im Dezember 2019 für Theaterpublikum, nicht für Filmkameras. Die großartige Inszenierung der polnischen Regisseurin bleibt als Stream eine dokumentierte Theaterveranstaltung, kann nur einem sehr geduldigen und theatergeschulten Blick den Zauber dieses Theaterabends vermittelt weitergeben, den „Der Boxer“ von der Bühne ins Publikum verbreitete. Schade, dass ich die Inszenierung bislang nicht sehen konnte; ein kleiner Trost, dass ich nun zumindest die Stream-Übertragung gesehen habe. Nun weiß ich gewiss: Ich habe etwas verpasst.