Foto: Eindringliche Darstellung: Kristin Steffen, Murat Dikenci und Stefko Hanushevsky © Krafft Angerer
Text:Guido Krawinkel, am 29. Februar 2020
Eine Zeitung verändert das Leben von Doğan Akhanlı. Als er im Alter von 17 Jahren besagte Zeitung mit einem roten Stern darauf kauft, setzt das eine Kette von Ereignissen in Gang, die sein Leben nachhaltig verändert. Aus dem Kauf der Zeitung konstruieren die Behörden eine angebliche Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und verhaften ihn. Das ist natürlich absurd, doch auch nach seiner Freilassung befindet sich Akhanlı stets im Fokus der staatlichen Überwachungsmaschinerie, weitere Verhaftungen sind die Folge. Die letzte erfolgt, als man es nun wirklich nicht mehr für möglich gehalten hätte: 2017, während eines Urlaubs im spanischen Granada.
Der Grund: Die türkischen Behörden hatten einen internationalen Haftbefehl erwirkt. Nicht nur das ist – gelinde gesagt – erstaunlich, sondern auch die Tatsache, dass die Türkei hier ein rechtsstaatliches Instrument missbraucht und ein Rechtsstaat sich auch noch zum willfährigen Büttel eines diktatorisch agierenden Regimes macht. Die Verhaftung schlägt enorme Wellen und natürlich kommt Akhanlı – nach drei Monaten – wieder frei und darf Spanien verlassen, doch zeigt die Geschichte in erschütternder Weise, dass man als Dissident und Regimekritiker nie wirklich sicher ist. Nicht mal, wenn die türkische Staatsbürgerschaft aberkannt wurde, man deutscher Staatsbürger ist und sich im sicheren Exil glaubt.
Der Regisseur Nuran David Calis hat Akhanlıs in Buchform erschienene Erinnerungen nun in komprimierter Form im Kölner Schauspiel auf die Bühne gebracht. Die Erzählung setzt in Akhanlıs Kindheit ein, schildert sein früh erwachendes Interesse an Büchern sowie verschiedene biographische Episoden, vor allem jene Verhaftungen, mit denen der türkische Staat Akhanlı schikaniert. Nachdem sich Calis zuletzt mit „Istanbul“, dem etwas langatmig geratenen dritten Teil der Keupstraßen-Trilogie, an der Türkei und Erdoğan abgearbeitet hat, gelingt es ihm nun, Akhanlıs „Verhaftung in Granada“ zu einem ungemein spannenden, ja nachgerade erschütternden Theaterabend zu machen. Denn wie nah und konkret die Bedrohung ist, machen die in den Abend eingeflochtenen persönlichen Statements der Schauspieler nachdrücklich klar.
So berichtet Murat Dikenci davon, dass er einem türkischen Taxifahrer lieber nicht die Wahrheit über das Stück erzählt habe, zu unkalkulierbar sei die Reaktion. Und Stefko Hanushevsky schildert, dass zwei türkischstämmige Mitarbeiter die Produktion nach Probenbeginn verlassen hätten. Der Regisseur hatte sie gewarnt, dass sie nach der Premiere eventuell nicht mehr in die Türkei einreisen könnten, und ihnen ihre Mitarbeit freigestellt. Unmöglich? Scheinbar nicht. Am Ende werden einige der Namen von Regimekritikern verlesen, die nach dem Putschversuch in der Türkei verhaftet wurden. Es sind viele.
Nuran David Calis schafft es, den nüchternen und doch sehr eindringlichen Bericht Akhanlıs in dramaturgisch spannender Form auf die Bühne zu bringen. Den drei Schauspielern werden nicht nur ungeheure Textmengen, sondern auch zahlreiche Rollenwechsel abverlangt, die diese ebenso beiläufig wie brillant absolvieren. Dikenci gibt mal den Dissidenten, Vater Akhanlıs oder Polizisten, Kristin Steffen die Mutter des Schriftstellers, seine Lebensgefährtin oder eine Anwältin.
Das konzentrierte Bühnenbild von Anne Ehrlich besteht aus einem an zwei Seiten offenen Kubus, der immer wieder gedreht wird, um verschiedene Orte darzustellen, einem Schreibtisch, an dem die Schauspieler ihre Statements vortragen, einem Kaffeeautomaten und einer „Folterecke“, in der sich die Schauspieler zwischendurch immer mal wieder ausziehen: mit dem Gesicht zur Wand, einsam und doch als stumme Anklage unmissverständlich. Gezielt eingesetzte Kamerabilder des Bühnengeschehens und die unterschiedlichen Perspektiven des Kubus schaffen eine konzentrierte Atmosphäre. Die Verdichtung der Schilderungen Akhanlıs zu zum Teil geradezu kafkaesken, bisweilen auch komischen Momenten tut ein Übriges dazu, diesen Abend in der Außenspielstätte Offenbachplatz zu einem eindrucksvollen Erlebnis zu machen. Am Ende steht die Aufforderung an alle, nicht wegzusehen. Denn der Arm des Despoten ist länger, als man denkt.