Foto: Quälende Paarbeziehung am Schauspiel Köln © Thomas Aurin
Text:Detlev Baur, am 29. Oktober 2022
In der finalen Szene sitzt ein Ehepaar beim Picknick beisammen. Man streitet über die Vorbereitungen, die wie immer von einem Partner besorgt wurden. MANN, Jörg Ratjen im Schlabberpulli, beklagt die Dominanz von FRAU und fügt en passant ein: „Ich bin gerne Frau“. FRAU, gespielt von Ines Marie Westernströer, hat das vorletzte Wort: „Ich bin nämlich durchaus in der Lage, ein Sandwich zu machen.“ Dieser Dialog ist so präzise geschrieben (und übersetzt von Ulrike Syha) wie das gesamte Stück und eröffnet dabei ein Feld von Fragen im Verhältnis von Mann und Frau. Das Schauspiel Köln zeigte nun die deutschsprachige Erstaufführung von Martin Crimps Stück „Wenn wir einander ausreichend gequält haben“, im Untertitel „Zwölf Variationen“ zu Samuel Richardsons „Pamela“. In diesem einst populären „Tugendroman“ von 1740 wehrt sich eine junge Magd dagegen, die Mätresse ihres Herren zu werden, ihre Standfestigkeit wird dann mit der Eheschließung belohnt.
Traum-Hochzeit
Crimps Stück spielt Motive des Romans durch, geht aber, wie spätestens die letzte Szene zeigt, von einem neuen, einem vielschichtigeren Verhältnis zwischen den Geschlechtern aus. Das patriarchalische System mit starkem, aktivem Mann und duldsamer, passiver Frau ist gebrochen, die klassischen Geschlechterzuschreibungen tauchen auf, werden jedoch hinterfragt und teilweise auch umgekehrt. Gleich in der ersten Szene widerspricht die FRAU: „Ich bin nicht Pamela.“ Jörg Ratjen gibt im rosa Sommeranzug (Kostüme: Esther Geremus) einen MANN, dessen großkotzige sprachliche Gewaltakte im Kontrast zu seiner Unsicherheit stehen – diese spiegelt sich auch in den immer neuen Anzügen in den folgenden Szenen. Ines Marie Westernströer hingegen wirkt einerseits kühl-kontrolliert; sie trägt, anders als es der Mann im Gespräch behauptet, durchaus Schuhe und scheint doch nicht wirklich frei zu sein. Später kleiden die beiden MÄDCHEN (Lisa Birnkott und Ramona Petry) – sind sie freche Girls von heute oder Tochter mit Freundin oder käufliche Männerprojektion oder einfach „nur“ hilfreiche Geister? – die Frau in ein weißes, einengendes Kleid. Dabei werden sie von Mrs. Jewkes angeleitet. Marek Harloff gibt die als dick titulierte Hausangestellte, deren Körperlichkeit und Geschlechtlichkeit im Ungefähren bleibt; ausgerechnet sie/er postuliert ein traditionelles Männerbild und schlägt ihrem Herren vor, seine Frau einfach zu „brechen“.
Offener Raum
Der Spielraum ist ein offener Bungalow (Bühne: Lisa Däßler); ob der große Raum ein offenes Wohnzimmer oder eine Terrasse ist, bleibt offen. Ein weißer Audi steht unter dem Carport, vielleicht als potenzielles Fluchtauto der Frau oder als Hochzeitskarosse mit Defekt. Mit moderat eingesetzten Lichtstimmungen (Licht: Michael Gööck) und Soundteppichen (Mathis Nitschke) entstehen hier Bilder und Szenen, die an schön-beklemmende Atmosphären in Filmen von David Lynch erinnern. Während die Frau ins Hochzeitskleid gezwängt wird, erzählt sie von einem gewaltvollen Traum von Flucht und einem Gewaltakt gegen ein Tier. Thomas Jonigks überzeugende deutschsprachige Erstaufführungsinszenierung erschafft insgesamt die Welt eines Alptraums, in dem nichts eindeutig ist und doch schmerzhafte Themen packend durchgespielt werden.
Die Schlussszene bleibt so offen wie zuvor das Verhältnis der Figuren untereinander in Crimps kryptischem Text. Die Kölner Inszenierung findet dafür mit einem starken, präzise agierenden Ensemble die adäquaten Bilder aus konkreten Figuren und alptraumhaften vagen Gestalten.