Foto: Tod (Leonard Bernad, vorne) und Kaiser (Giorgos Kanaris) © Thilo Beu
Text:Andreas Falentin, am 8. September 2018
Die Oper Bonn kombiniert Ullmanns in Theresienstadt entstandene Oper mit einem anderen musikalischen Zeugnis des Nazi-Terrors, Karl Amadeus Hartmanns zweiter Klaviersonate.
Es beginnt mit einem kraftvollen Akzent. Der Komponist selbst tritt auf, in abgetragener Kleidung, und stellt einem Nazi-Offizier mit den ersten Tönen des „Lautsprechers“ sein Stück „Der Kaiser von Atlantis“ vor – solange, bis der Statist in Uniform aufsteht und ihn erschießt. Und Viktor Ullmann verwandelt sich in den Tod.
Bereits hier ist zu spüren, dass Seollyeon Konwitschny mehr möchte als die symbolistisch aufgeladene, musikalisch so außergewöhnlich farbig gestaltete Geschichte um den Kaiser, der alle gegen alle aufhetzt und den Tod, der daraufhin seine Arbeit einstellt. Viktor Ullmann schrieb das Stück in Theresienstadt, bevor er in Auschwitz ermordet wurde. Er thematisiert sein Schicksal explizit nicht in seinem bekanntesten Werk und doch schwingt es in jeder Note mit, nicht trauernd oder wütend, aber gleichsam unerbittlich. Konwitschny versucht nun, diese 55 Minuten kurze, so starke Partitur zu enträtseln, geistig zu entflechten.
Helmut Brade hat ihr dafür eine Landschaft aus weißen, schwarz nummerierten Koffern in die Werkstatt des Bonner Theaters gestellt. Die lassen an Strand denken, an Urlaub – und durch die Nummer und den Gegenstand naturgemäß an Konzentrationslager. Der Raum korrespondiert mit dem Tod, der hier im weißen Anzug auftritt. Schwarz dagegen, mit weißem Hemd, grauer Krawatte, rotem Einstecktuch, tritt der Kaiser auf, hantiert mit Laptop und Smartphone, übt Macht fern von den Menschen über sie aus. Der ähnlich, ohne Tuch, gekleidete Trommler ist sein analoger Vollstrecker, sortiert Papiere, stempelt Beschlüsse und Urteile. Das öffnet Assoziationsräume, will das Stück im Heute verankern, wirkt aber ein wenig zaghaft angesichts des historischen Umfelds und des Charakters dieser Musik.
Die ist bei Hermes Helfricht, dem neuen Ersten Kapellmeister der Bonner Oper, in hervorragenden Händen. Anders als Rainer Mühlbach im Februar an der Kölner Oper legt Helfricht nicht das postmoderne Zitierverfahren bloß uns stellt auch die die abseitige Farbigkeit dieser Partitur kaum aus. In Bonn ist „der Kaiser von Atlantis“ schwungvolle, trotz der nur 13 Instrumente momentweise sogar wuchtig daherkommende Theatermusik, berstend vor Kreativdrang und eigenwilligen harmonischen Lösungen, in Nachfolge etwa des späten Janacek oder des frühen Martinu. Dazu singen Giorgos Kanaris (Kaiser), Leonard Bernad (Lautsprecher/Tod) und Rose Weisgerber (Bubikopf) famos, Christian Georg (Harlekin) und Charlotte Quadt (Trommler) sogar noch ein wenig besser. Alle Solisten sind zudem in jedem Moment textverständlich, musikalisch und darstellerisch stilsicher und bewältigen auch die gesprochenen Passagen künstlerisch.
Nach dem dritten der vier Bilder unterbricht Sollyeon Konwitschny ihre Inszenierung. Zwei Bühnenarbeiter eilen herbei, gerieren sich halbherzig als Witzfiguren und schaffen linkisch Platz auf der Bühne für einen Konzertflügel. Auf diesem spielt der Pianist Ben Cruchley Karl Amadeus Hartmanns zweite Klaviersonate, den wütenden Trauergesang eines Überlebenden. Hartmann, seine Musik zwischen 1933 und 1945 fast ausschließlich im Ausland aufführen ließ, war Zeuge des Evakuierungsmarsches aus Dachau. Am 27. April 1945 sah er, wie die gequälten und unterernährten Menschen an ihm vorbeigetrieben und, wenn sie nicht schnell genug liefen, erschossen wurden. Das gut halbstündige Stück ist, zumal in der eckig fließenden Interpretation Cruchleys, hörenswert. Hier gestaltet ein Überlebender direkt seine Empfindungen und seine Haltung, ohne dabei zu erzählen.
Eine Verbindung zwischen den beiden, sich in vielerlei Hinsicht gegenseitig konterkarierenden Werken mag sich allerdings an diesem Abend nicht herstellen. Zumal wieder das Bühnenarbeiter-Duo kommen, den Flügel weg- und die Bühne aufräumen muss, also eine Lücke zwischen die Stücke reißen muss. Nun sind die Koffer zur Mauer aufgeschichtet, was wieder Assoziationsräume öffnet, unter denen viele schiefe sind. Der Kaiser muss in den eigenen Tod einwilligen, damit der Tod wieder arbeitet und geht, um sich zu verabschieden, einmal zu den Menschen hin: Er läuft durch eine Zuschauerreihe. Das wirkt in diesem Zusammenhang, genau wie die frisch erblühte, eben noch verdorrte Topfpflanze schal, um nicht zu sagen: sentimental. Trotz oder wegen dieser großartigen Musik?