Foto: Das "Hereroland"-Ensemble am Thalia Theater © Armin Smailovic
Text:Barbara Behrendt, am 8. Mai 2020
Wie kann, fragt sich die Kritikerin neugierig vor dem Click aufs Video, ein „begehbares Museum, in dem das Publikum parallel Performances, Ausstellungen und Theaterszenen erleben kann“, wie das Hamburger Thalia Theater die Inszenierung „Hereroland“ beschreibt, in einer Aufzeichnung erfahrbar werden? Wie vermag die Kamera den Gang des einzelnen Zuschauers nachzuempfinden? Wie die Intimität einzufangen, die entsteht, wenn sich Zuschauergrüppchen in Archivräumen, kleinen Zelten, winzigen Museumsräumen verteilen? Um es gleich vorwegzunehmen: Sie vermag es nicht – diese Aufzeichnung demonstriert ein Scheitern der Kamera auf vielen Ebenen. Kaum verstehbar, weshalb das Theater diesen handwerklich ungenügenden Mitschnitt, der nur für interne Zwecke angefertigt worden sein kann, der Öffentlichkeit zugänglich macht.
Das Thema des Abends ist spannungsgeladen: der Völkermord der Deutschen an den Hereros in Namibia, die endlos schleppend vorangehende Aufarbeitung, die Verwicklung Hamburgs, der großen Handelsstadt, in dieses düstere Kapitel der ohnehin schon dunklen Kolonialgeschichte Deutschlands. Der Dokumentartheaterregisseur Gernot Grünewald ist dafür, so erfährt man auf der Theater-Homepage, mit seinem Team nach Afrika gereist und hat gemeinsam mit dem namibischen Regisseur David Ndjavera und afrikanischen Spielerinnen und Spielern einen Parcours mit 19 Stationen entwickelt, durch den sich die Zuschauer individuell ihren Weg bahnen – fünf Minuten Zeit ist dabei an jeder Station.
Die Kamera gibt kleine Einblicke in die verschiedenen Räume – nur selten verweilt sie die kompletten fünf Minuten in einer Szene. „What makes you german?“, fragt der namibische „Friseur“ in seinem „Salon“ die deutsche Zuschauerin, als sie in seinem Stuhl Platz nimmt – und blendet ab. Dabei böte doch, stellvertretend für das Publikum am Bildschirm, gerade diese kleine Unterhaltung einen Eindruck von der Nähe, der Begegnung, die sich hier eins zu eins ereignet. Immerhin hört man noch, dass sich der „Friseur“ selbst deutsch fühlt – sein Großvater sei der Sohn eines deutschen Schutztruppenmannes, der dessen Mutter vergewaltigt habe. Das sitzt – und gibt einen kleinen Hinweis auf die Atmosphäre des gut zweistündigen Abends, der im Video auf 90 Minuten eingedampft worden ist.
Ansonsten trifft man in der Aufzeichnung auf einige Stereotype: Im bunkerartigen „Museum“ zeigt der seit Generationen in Namibia lebende Deutsche alte Fotos und erzählt, welchen Segen die Deutschen doch über das Land gebracht hätten – Straßen, Kleidung, Bildung. Im „Kindergarten“ erklärt dagegen die sympathische Namibierin die Bedeutung ihrer ausladenden Tracht mitsamt Hut, der an Kuhhörner erinnern soll. Deutsche Spieler in historischen Kostümen schwingen schreckliche Eroberungsreden. Dazwischen Informatives wie der „Leiter des Medizinhistorischen Museums Hamburg“ im „Schädelarchiv“, der über die Herkunft hunderter afrikanischer Schädel spricht, die nach wie vor nicht restituiert worden sind.
Darüber hinaus gleicht die Inszenierung einem überlangen Trailer, der lediglich zeigt, was man an diesem Abend erleben könnte, wäre man denn live dabei. Hier nimmt er mal einen Satz aus dem Audiomaterial auf, das die Zuschauer an Sound-Stationen per Kopfhörer eingespielt bekommen, dort wirft er einen Blick in einen Raum mit Fotografien. Zentrum des installativen Projekts ist ein Platz, an dem, man sieht es schlecht, eine Art kultisch verehrter Baum steht. Hier wird eine Gerichtsverhandlung inszeniert, die die verheerende Schlacht am Waterberg 1904 anklagt, bei der zehntausende Hereros in die Wüste getrieben wurden und verendeten. Die Schuld der Deutschen wird angeprangert – schließlich hat die deutsche Regierung erst 2016 (!) die Vernichtung der Hereros und Namas als Völkermord anerkannt. Eine offizielle Entschuldigung gibt es bis heute nicht, Reparationsleistungen sind nicht bezahlt worden, die Rückgabe der Kulturgüter verläuft zäh.
Doch gerade bei diesen zentralen Szenen versagt die Kameraführung. Das Englisch der afrikanischen Spieler ist akustisch und wegen des lokalen Akzents schwer zu verstehen – wenig hilfreich, dass die Kamera dann auch noch so dicht an die Spieler heranzoomt, dass die deutschen Übertitel aus dem Bühnenraum am Bildschirm nicht mehr zu sehen sind. Zudem stehen die Spieler im Kreis, agieren in alle Richtungen – währen die Kamera statisch bleibt und die Worte schlecht einfängt.
Ob die Inszenierung also aufgrund ihrer moralischen Korrektheit theatral eher unspannend bleibt, wie eine Pressestimme nach der Premiere bewertete, oder ein berührender, intensiver Abend zu erleben ist, wie andere Kritiker befinden, wie etwa Die Deutsche Bühne zur Premiere im Januar, ist per Video nicht zu entscheiden. Am Bildschirm, das lässt sich jedenfalls sagen, fühlt man sich außen vor und von allen wichtigen Informationen abgeschnitten, die man nur weit entfernt über Schautafeln laufen sieht. Das frustriert.