Foto: Szene aus "Gips oder Wie ich an einem Tag die Welt reparierte", der Eröffnungspremiere der Schauburg München unter der neuen Intendanten Andrea Gronemeyer © Judith Buss
Text:Manfred Jahnke, am 20. Oktober 2017
In „Gips oder Wie ich an einem einzigen Tag die Welt reparierte“, 2017 für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert, erzählt Anna Woltz die wunderbare Geschichte der 12-jährigen Fitz, die an einem Tag die Welt zu begreifen lernt. Ihre Eltern haben sich getrennt. Nun ist sie zum ersten Mal bei ihrem Vater in der noch nicht eingerichteten Wohnung und muss zusehen, wie ihr Vater mit ihrer Schwester Bente stürzt und diese dabei eine Fingerkuppe verliert. Im Krankenhaus überschlagen sich die Ereignisse. Sie lernt Adam kennen, dessen Bruder als Frühchen auf die Welt gekommen ist, und Primula, die gerade eine Herzklappenoperation hinter sich hat. Fitz agiert dabei mit einer ungeheuren Wut auf ihre Mutter, die sie sterben lassen möchte, und weil sie sich diesen Satz auf ihr Gesicht geschrieben hat, trägt sie eine Tigermaske.
Kein Zweifel: Das Krankenhaus, in dem Bente behandelt wird – und am Ende auch der Vater, dem die Milz herausoperiert wird –, ist Schauplatz grotesker Aktionen. Dabei setzen sich alle Beziehungen in diesem Roman mit dem auseinander, was Liebe ist. Für eine Zwölfjährige ein wichtiger Forschungsgegenstand. So lernt Fitz ihre Mutter verstehen, aber auch, warum man nicht in den Vulkan springen muss, wenn sich Menschen verlieben. Sie stiftet sogar eine Beziehung zwischen einem Arzt und einer Krankenschwester, die dann leicht schräg gemeinsam den berühmten Song von Olivia Newton-John singen. In der Bearbeitung von Theo Fransz, Niederländer wie die Autorin, und Anne Richter, wird in der Doppelbesetzung von Vater/Doktor und Mutter/Krankenschwester diese Thematik einer werdenden und einer scheiternden Liebesbeziehung nachdrücklich gesetzt. Simone Oswald und David Benito Garcia, beide aus Mannheim mit der neuen Intendantin Andrea Gronemeyer nach München gekommen, spielen ihre unterschiedlichen Rollen mit Witz und vor allen Dingen bezaubernden Charme aus.
Dennoch wirkt die Bearbeitung von Fransz und Richter statuarisch. Beide, scheint es, sind in den Roman verliebt. Statt zu fokussieren, erzählen sie in epischer Breite. So entsteht eine Abfolge von Aktionen, aber keine dramatische Dynamik. Diese mangelnde Dynamik verwundert um so mehr, als Mareile Krettek, ein praktikables Bühnenbild geschaffen hat, das im Zentrum aus einer Drehscheibe mit drei Bahnen besteht und zwei verschiebbaren Elementen, wie zwei Vorhängen vor der Drehbühne, die schnelle Verwandlungen ermöglichen. Allerdings müssen diese von den Spielern selbst betätigt werden, wobei bis zum Aufbau des nächsten Tableaus doch ein Tempoverlust zu konstatieren ist. Dabei kann Fransz ziemlich viel aus dem Bühnenbild herausholen. Mit ganz unterschiedlichen Formen bis hin zum Schattenspiel findet er für „Gips“ immer wieder überraschende szenische Lösungen, die Staunen auslösen. Wie zum Beispiel, als Bente eine Spritze bekommt und dabei als Schattenbild winzig klein ist, der Krankenpfleger (Pan Aurel Bucher) hingegen riesig wirkt. Und wie immer in seinen Inszenierungen lotet er gerne die komischen Potentiale seiner Vorlage unterhaltsam aus. Allerdings wirken die jungen Darsteller, die alle ihre starken Bilder haben, noch ein wenig unsicher, zumal sie Mareile Krettek in grelle, das Groteske streifende Kostüme steckt, die den Blick auf die Figuren eher verstellt als dass ihnen hilft. Das ist schade, denn Anne Bontemps als Fitz, Helene Schmitt als Schwester Bente, Miriam Morgenstern als Primula oder Janosch Fries versprühen Charme und deuten an, welche darstellerische Potenz da lauert. Wie oft arbeitet auch Fransz mit Doppelbesetzungen, in dem aus dem Stand heraus die Rollen gewechselt werden, was unter anderem mit grotesken Perücken für weiteres komisches Potential sorgt.
Vielleicht gibt es da noch eine ganz andere Erklärung: „Gips oder Wie ich an einem einzigen die Welt reparierte“ ist der Start der Intendanz von Andrea Gronemeyer an einer rundum erneuerten Schauburg. Die Spielräume nennen sich nun analog zu den „Kammern“ der Münchener Kammerspiele „Burg“. Und die Erwartungen waren und sind groß. Kein Wunder, dass im Zuschauerraum nicht nur die Münchener Kultur vertreten war, allen voran der Kulturreferent Hans-Georg Küppers, sondern auch die Spitze der bundesdeutschen Kindertheaterszene. Wer sollte da nicht nervös werden?