Foto: „OCEANE” von Detlev Glanert mit Maria Bengtsson als Oceane © Bernd Uhlig
Text:Jörn Florian Fuchs, am 29. April 2019
Fürs Nachlesen des Novellenfragments „Oceane von Parceval“ muss man zur Theodor-Fontane-Gesamtausgabe greifen. Dabei dauert das Heraussuchen des knappen Textes fast länger als die Lektüre. Eine seltsame Dame begegnet einem da, ganz und gar nicht von dieser Welt. Ein gewisser Martin ist äußerst begeistert von ihr, doch sie zieht am Ende das Meer vor und entschwindet in den Wellen. Eigentlich ist „Oceane von Parceval“ gar kein Fragment, allenfalls ein Fragmentchen. Auf den wenigen Seiten finden sich vor allem Entwürfe zu Entwürfen – und Leerstellen.
Keine gute Ausgangsposition also für eine Veroperung. Dennoch, der bereits Libretto erfahrene Hans-Ulrich Treichel und Detlev Glanert – Spezialist für literatur-theatrale Schöpfungen – versuchten es. Heraus kam ein in vielerlei Hinsicht retrohaftes Werk. Und das ist in diesem Fall auch gut so. Denn jedes Wort (Treichel füllte, ergänzte, erweiterte eigenständig, aber ganz im Dichter-Sound), jeder Takt atmet pure Fontane-Atmosphäre. Meist sanft melancholisch, zeitweise auch mal wutentbrannt eruptiv erzählt Treichel von einer Gefühlsautistin, die nichts für ihre Um- und Mitwelt empfindet, in der es dafür umso stärker brodelt. Sie schockiert ihre Umgebung durchs pure Dasein, ein Fremdkörper, der sich selbst das größte Rätsel ist. Maria Bengtsson zeigt das vokal und darstellerisch herausragend, Glanert hat ihr öfters einen – wie er formuliert – zerstörten D-Dur Akkord zugeordnet. Ihr Gegenüber (der solide Nikolai Schukoff als Martin von Dircksen) kämpft mit Oceane und seinen Gefühlen für sie, Glanert lässt es gewaltig stürmen und toben. Eine Windmaschine tost, geheimnisvolle Chorpassagen mischen sich mit fein ausgehörten Orchesterklängen.
Donald Runnicles dirigiert das als Herzensangelegenheit, Jeremy Bines sorgt für prächtige, soghafte Chöre. Für einen sehr düsteren Pfarrer namens Baltzer (böse wummernd: Albert Pesendorfer) erfindet Glanert auch mal leicht gebrochene Schlagwerkwirbel oder kratzbürstige Kantilenen. Stark auch Doris Soffel als mit der Pleite kämpfende Hotelbesitzerin Madame Louise.
Das Ganze spielt auf einer Seeterrasse, an der Promenade, am Strand. Robert Carsen inszeniert in konsequenter Schwarz/Weiß-Optik, mit tollen Videoprojektionen von Wellen und Wolken, immer wieder sieht man auch Oceanes Gesicht in Nahaufnahme oder mehrfach gespiegelt. Die ganze Aufführung, vor allem jedoch Glanerts Musik transportiert bei aller Dunkelheit etwas zutiefst Menschliches.
Der Untertitel „Sommerstück für Musik“ trifft die Sache ganz gut. Hier ist eben kein handlungsreiches Musiktheater zu erleben, eher eine hochästhetische Meditation mit durchaus leichten, witzigen Momenten, wenn etwa parallel über l’amour infini und die Essenfolge beim Bankett nachgedacht wird. Wer mag, kann in Oceane übrigens auch eine heutige Figur sehen – Stichwort: Borderline. Der Sturm des Stücks übertrug sich nach zwei Stunden Spielzeit (inklusive Pause) auch aufs Publikum. Man wähnte sich ob des Jubels beinahe auf einer Strandparty.