Foto: Szene mit Denis Larisch, Monika Dortschy und Sebastian-Brandes © Andreas Etter
Text:Vanessa Renner, am 29. November 2015
Es ist einer dieser Theaterabende, die eine bedrängende Beunruhigung hinterlassen. Weil er abstrakte Informationen – Zeitungswissen und nüchterne Daten – sinnlich erfahrbar macht. Das surrende Geräusch einer kreisenden Drohne. Das Gefühl, von ihr erfasst, sich selbst auf einer Videowand zu entdecken. Den „Countdown“, die volle Länge der zehn Sekunden auszuhalten, die eine Rakete braucht, um den Weg zu ihrem Ziel zurückzulegen.
Das war ein Kind, stellt Brandon Bryant mit nahezu tonloser Stimme fest. Der Soldat sitzt in einem Container in New Mexico vor einem Bildschirm und schießt Raketen ab auf Menschen in Afghanistan, Pakistan oder dem Jemen. Ein Hund sei es gewesen, wird er beschwichtigt. Doch Bryant fragt: ein Hund auf zwei Beinen?
Die Figur Bryant stellt der Hausregisseur des Mainzer Staatstheaters Jan-Christoph Gockel ins Zentrum seines neuen Projektes „Ramstein Airbase – Game of Drones“, das nun im U 17 uraufgeführt wurde. Es beruht auf dem Leben des ehemaligen Drohnen-Operators Brandon Bryant, der an die Öffentlichkeit ging und unter anderem vor dem NSA Untersuchungsausschuss aussagte. Im Oktober 2015 war er im Mainzer Theater zu einem Gespräch, das in Ausschnitten im Stück zu sehen ist.
Ebenso wie andere Dokumente, TV-Nachrichten und Tonaufnahmen, die Gockel rund um den Ort Ramstein recherchiert hat. Hier liegt der größte US-Militärflugplatz außerhalb der Vereinigten Staaten. Die Ramstein Airbase, zentraler Knotenpunkt für Soldaten und Kriegsmaterial, ist aktuell die Schnittstelle zwischen Planung und Steuerung der weltweiten Kampfdrohnen-Einsätze. Die Vernetzung über digitale Daten, die Überwachung und den Weg der Drohnen verdeutlicht die Bühne als überdimensionale Weltkarte.
Ein „Schlachtfeld“, bemerkt der Menschenrechtsanwalt, der der Figur Bryants gegenübergestellt wird. Als Heranwachsender noch fasziniert vom Ort Ramstein, der deutsch-amerikanischen Freundschaft, der Welt der Sitcoms und Hollywood-Streifen, deren Helden ihm Vorbilder, Wegweiser und Inspiration sind, wird das Bild schon bald brüchig. Sebastian Brandes spielt diese Entwicklung glaubhaft. Wie in einem Gerichtssaal liefert er Beweise, vernimmt Zeugen und Beklagte, die auf einem schwarzen Sessel oder antiquierten Thron Platz nehmen.
Die Komposition von Text und Dokumenten, Bild- und Tonmaterial, ist klug arrangiert und trägt das gesamte Stück. So kommentieren und konterkarieren sich die einzelnen Collageelemente und medialen Ebenen gegenseitig. Überzeugend die Leistung der Schauspieler des Dreipersonenstücks. Neben dem Anwalt Brandes Denis Larisch als Bryant und Monika Dortschy als Zeugin eines Raketenbeschusses und Colonel. Er hält dem Anwalt und damit auch den Zuschauern den Spiegel vor. Leicht ist es, sich als Außenstehender zu empören. Schwer, Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen.
Das ist die Stärke des Stücks. Es verliert den Blick für die Vielschichtigkeit der Realität nicht. Die Welt ist komplex, das müssen wir aushalten, stellt der Anwalt fest. Die Helden aus Film und Fernsehen mit ihrer klaren Definition von gut und böse helfen nicht weiter. Weder als Identifikationsfiguren noch als Vorbilder. Und der Thron der Mächtigen, der Verantwortlichen – auf der Bühne bleibt er am Ende leer.