Foto: Ella Gaiser (Voland), Mathias Znidarec (Korowjew) und Yves Wuethrich (Behemoth) im Sommertheater in Jena. © Joachim Dette
Text:Michael Chlebusch, am 12. Juli 2013
Nein, gehen Sie jetzt besser kein Bier kaufen. Legen Sie bitte auch die Minipizza beiseite, die Sie sich da gerade geholt haben. Beim Zubeißen haben Sie doch das Wichtigste schon wieder verpasst! Diese Open-Air-Premiere von „Der Meister und Margarita“ in der Jenaer Kulturarena ist ein Ritt auf der Teufelskatze, die kein Luftholen erlaubt. In etwas über zwei Stunden geht es durch fast 500 Seiten Romanhandlung aus der Feder des Russen Michail Bulgakow. Und der war schließlich kein Tolstoi, bei dem der Leser kurz wegnicken kann, um zehn Minuten später nahtlos ins Geschehen zurückzufinden. „Der Meister und Margarita“ ist in Buch wie Stück ein Panoptikum aus Gesellschaftssatire, Apparatkritik und Moraltestat, serviert auf Zweifingerbreit Wodka. Vielleicht auch LSD, denn was dem Publikum bei der Inszenierung von Johanna Wehner und Moritz Schönecker entgegenschlägt ist so übervoll von Regieideen, Witz und Abgründen, dass ihm nicht erst beim Dreh der Spiralscheibe im Greenscreen schwindelig wird.
Die Handlung ist im Detail kaum wiederzugeben, dreht sich im wesentlichen um die mephistophelische Gestalt Voland ¬– in Jena als spannende Frauenrolle durch Ella Gaiser gespielt – und die Verwicklungen, die mit ihr in die Moskauer Wohnung Nr. 50 ziehen. Die Sehnsuchtsgeschichte zwischen der verführerischen Margarita (entrückt Lena Vogt) und dem Autor, den sie Meister nennt (erfrischend unprätentiös Benjamin Mährlein), kommt überhaupt erst im zweiten Teil der Inszenierung auf. Darum und dazwischen spinnen sich Handlungsstränge um Künstler, Bürger und ihre Verwalter, die teils ebenso abrupt wie skurril enden. Den Ruhepol im Ganzen bildet die parallel erzählte Episode um Pontius Pilatus, der mit sich und den Folgen des Urteils über Jeshua ringt. Voland, habe ihn gekannt, der Meister schrieb einen Roman über ihn. Stilistisch wie thematisch steht die Pilatus-Handlung dem Rest des Stückes gegenüber. Während hier ernst und ruhig die moralische Entscheidung des Einzelnen zwischen dem Guten und Bösen steht, verflüchtigt sich dort jegliche Entscheidung in einer Überfülle von Reizen und Möglichkeiten als Folge einer überdrehten Gesellschaft.
Dieser trägt die Inszenierung in einer verschwenderischen Flut von Mensch und Bild Rechnung: neben den etwa 60 Statisten kommen Video-Installationen, Live-Musiker, Live-Projektionen und Pyrotechnik zum Einsatz. Dass dieses anarchische Spektakel nicht zum Jahrmarkt abgleitet, ist klug gesetzten Zäsuren und Szenenwechseln zu verdanken. Die Regie bewahrte sich bei diesem Sommertheater dankbarerweise einen Anspruch über den nach einem bereits jetzt mehrfach geglückten Ausverkauf der Ränge hinaus. Trotz Schwerpunktsetzungen und Kürzungen wurde Bulgakows Inhalten in weiten Teilen Rechnung getragen. Vielleicht stellenweise und angesichts des Tempos zu dicht gepackt, sodass ohne eine zumindest grobe Kenntnis der Romanhandlung das Gesamtverständnis beim Publikum manchmal auf der Strecke bleibt. Doch auch ohne dieses wird der Zuschauer mit großen Theatermomenten belohnt. Als Margarita schmerzerfüllt im Scheinwerferspot zu singen beginnt. Klaviermusik und zitternde Stimme erklingen. Da kommt ein Mann mit Plastikbeutel und Hundemütze durch die Bühnentür und führt den schönen Pathos ad Absurdum. Bulgakow hätte seine helle Freude daran gehabt.