Foto: Auf montrösen Walzen: Das Ensemble des Schauspiels Frankfurt in "Danton's Tod" © Birgit Hupfeld
Text:Volker Oesterreich, am 30. März 2015
Hier dreht sich nicht das Rad der Geschichte, hier rotieren drei riesige Walzen der Revolution. Sie beherrschen den schwarzen Schlund des Frankfurter Bühnenhauses, werden mal hydraulisch hoch-, mal runtergefahren, aber in Bewegung sind sie immer. Obendrauf marschiert das Ensemble im Gleichschritt, gesichert an langen Gurten, die vom Schnürboden herabhängen. Jeder Einzelne bewältigt schätzungsweise zehn Kilometer während der mehr als zweistündigen Aufführung von Georg Büchners „Dantons Tod“. Alle sind in Bewegung, aber keiner kommt vom Fleck, während sich die Walzen unter den Füßen unerbittlich weiterdrehen. Für die wenigen Auf- und Abtritte werden rechts und links Gangways herabgelassen, damit die Akteure ihre Positionen auf den Walzen einnehmen können.
Es ist ein faszinierendes, einprägsames Mahlwerk, das der Regisseur und Bühnenbildner Ulrich Rasche für seine Frankfurter Büchner-Inszenierung entworfen hat. Die Kernfrage, was das denn sei, „was in uns hurt, lügt, stiehlt und mordet“, bleibt unbeantwortet. Die „Puppen“-Schauspieler werden ganz textgetreu „von unbekannten Gewalten am Draht gezogen“. Man sieht zwar nicht, dass die Marionetten-Menschen von den Walzen zermalmt werden, aber das muss auch nicht gezeigt werden, da die Dramenhandlung davon erzählt: vom Konflikt zwischen dem gemäßigten, genussvollen und zum Humanitären bekehrten Geist der Revolution, wie ihn Danton mit seinen Gefolgsleuten vertritt, und dem Revolutions-Fundamentalismus Robespierres, der mit seinem Tugendterror über Leichen geht. Seine Diktatur kennt keine Kompromisse, jeder, der aus seiner Sicht zum Renegaten wird oder werden könnte, muss unter die Guillotine. Natürlich auch Danton mit seinen Adepten. Die Intervention seiner Frau Julie (Anna Böger) kann’s nicht verhindern. Genauso auf verlorenem Posten kämpft Lucile (Paula Hans) um das Leben ihres Camille (Maximilian Meyer-Bretschneider).
An einer vordergründigen Aktualisierung des Revolutionsdramas ist Ulrich Rasche nicht interessiert. Kein versteckter Hinweis auf den Arabischen Frühling, der gerade dantonesk und blutig untergeht, oder auf die Ukraine. Der Regisseur nimmt Büchners Text, seinen Nihilismus und die Erkenntnis, dass die Revolution immerfort ihre Kinder frisst, sehr ernst. Oft rhythmisiert er den Text durch Wiederholungsschleifen oder Vokabel-Stakkati. Und noch häufiger lässt der Spezialist für strenge, chorische Inszenierungen die Gedanken von Schauspielergruppen skandieren. Zusammen mit dem düster-dräuenden Sound zweier Celli, eines Basses und einer E-Gitarre sowie den elegisch-monotonen Gesangswogen dreier Sänger entsteht so ein machtvolles, aber zutiefst pessimistisches Requiem der Revolution, komponiert von Ari Benjamin Meyers.
Torben Kessler zeigt in der Titelpartie, dass in seinem Danton nicht nur ein gemäßigter Revolutionär steckt, sondern auch ein blitzgescheiter Volkstribun. Ganz anders Nico Holonics. Er spricht die Worte Robespierres so geschliffen scharf wie eine Guillotinen. Der Schauspieler, der unlängst auch als Alleindarsteller in der Dramatisierung der „Blechtrommel“ brillierte, zeigt, dass in dem politischen Dämon auch ein Shakespearescher Richard oder ein stalinistischer Despot steckt. Gefeit sind vor solchen charakterlichen Abgründen aber auch Danton und all die anderen nicht. Das beweist das geschickt in den Dramentext montierte Max-Stirner-Zitat „Mir geht nichts über mich“. Monstren sind sie letztlich alle – so monströs wie die drei rotierenden Walzen auf der Bühne.