Foto: Prunk und Last des Amtes: Andrzej Dobber als Francesco Foscari, Doge von Venedig; und Giuseppe Filianoti als sein Sohn Jacopo. © Bernd Uhlig
Text:Detlef Brandenburg, am 28. Oktober 2013
Welch ein Gegensatz: Hier „La battaglia di Legnano“, von pathetischen Chören durchtönt, uraufgeführt 1849 in Rom als Manifest italienischer Vaterlandsliebe, zu deren historischer Glorifizierung Giuseppe Verdi ein Ereignis von 1176 herbeizitiert: den Sieg der Lombardischen Liga über die Truppen Friedrich Barbarossas in der Schlacht von Legnano. In dieser Oper triumphiert das Vaterland der Lombarden aber nicht nur über Barbarossa, sondern auch über die Liebe des Helden Arrigo zu seiner Lida und die Eifersucht ihres Gatten Rolando, ja selbst über die Fürsorge der Eltern zu ihren kleinen Sohn. Wenig Zweifel schimmert da durch an Italiens Obrigkeit, an ihrem Adel, ihren Freiheitskämpfern und Politikern. Und dort „I due Foscari“, uraufgeführt 1844 ebenfalls in Rom: ein Kammerspiel politischer Intrigen mit dem Chor als düsterem Protangonisten des Staates, in dem Verdi ein vernichtendes Bild der Herrscherkaste im venezianischen Dogenpalast zeichnet. Was aber beide Opern gemeinsam haben, das ist die verblüffende und in dieser Direktheit durchaus singuläre Weise, in der Verdi politische Themen zum Gegenstand seiner musiktheatralen Auseinandersetzung macht.
Es ist der Hamburgischen Staatsoper zu danken, dass sie jenseits einschlägiger Musikhistorie Anlass gibt, sich über solche Entwicklungen beim frühen Verdi Gedanken zu machen. Simone Young, scheidende Chefin des Hauses, hat zum Verdi-Jahr gleich drei von dessen frühen Opern zur Chefsache gemacht und außerdem – an einem Wochenende, an dem auf eine „Battaglia“-Vorstellung die Premiere von „I due Foscari“- folgte – zu einer Verdi-Tagung mit hochkarätigen Experten geladen. In zwei Wochen folgt dann noch „I Lombardi“, alle drei Opern werden von Simone Young dirigiert und von David Alden inszeniert, für die Bühne zeichnet Charles Edwards verantwortlich, für die Kostüme Brigitte Reiffenstuel und für die Choreographie Maxine Braham.
Alden hat man in Deutschland als agilen und ziemlich frechen Animator von Händel-Opern in der Ära von Peter Jonas an der Bayerischen Staatsoper kennengelernt. Daran allerdings erinnerte in der „Battaglia“ und den „Foscari“ leider nur wenig. Aldens nicht nur konventionelle, sondern enervierend stereotype Personenführung war in der „Battaglia“ wenig geeignet, Verdis heute schwer erträglichem Pathos eine erkennbare Haltung entgegenzusetzen. Selten hat man an einem Haus von Rang und Anspruch der Staatsoper derart blasse Charaktere gesehen, an Peter Konwitschnys ideologiekritisch stets hellwache und streitbare Inszenierungen am gleichen Ort darf man gar nicht erst denken.
Stärker wirkten in der „Battaglia“ zumindest die bildhaften Tableaus: Hinter einem historistischen Portal begegnete den Zuschauern die düstere, bunkerhafte Realität einer kriegerischen Welt, deren Kostüme zwischen 19. und 20. Jahrhundert vagabundierten. Den Chor hat Alden auf einer ebenfalls in eine historistische Balustrade gefassten Empore direkt unter dem Portal postiert, wie bei einer konzertanten Auführung durfte er mit den Noten in der Hand vom Blatt singen und wirkte dadurch dramaturgisch gleichsam anonymisiert, seine Gesänge erschienen als Ausdrucksform einer kollektiven, historisch verbrämten politischen Ideologie, die durch die Epochen fortwirkt und die Figuren antreibt. Das funktionierte auch in „I due Foscari“ erstaunlich gut, wo der Chor als Protagonist der zutiefst inhumanen und verlogenen venezianischen Staatsideologie mindestens ebenso präsent ist wie Loredano, der eigentliche Bösewicht, der hier aber dramaturgisch sehr blass bleibt.
Alden inszenierte also beide Werke im gleichen Setting und fast mit den gleichen Mitteln, nur einige zusätzliche Stellwände fungierten in den „Foscari“ sehr effektvoll als düsteres Labyrinth der Macht im Dogenpalast. Aber spätestens hier, am zweiten Premierenabend, fragte man sich dann doch, ob es wirklich der Sinn solcher Ausgrabungen sein kann, sie per Personenführung gleich wieder im Opernmuseum zu versenken. Die Bosheit trägt schwarzen Ledermantel, das Leid presst die Hände aufs Herz, Brutalität schwingt die Gerte – Alden ließ kein Klischee aus, dafür aber jede Chance, sich mit Verdis Darstellung des venezianischen Staatsapparats tiefergehend auseinanderzusetzen. Eindruck machten auch hier wieder die Bilder und Tableaus: die Lagune vor der Piazzetta von San Marco mit den gespannten Tüchern als Gondeln oder der durch den Kostümwechsel zwischen opulentem Dogenornat und grauem Alltagsanzug fast schon plakativ veranschaulichte Wechsel zwischen privater und öffentlicher Rolle beim alten Foscari. Aber weil Bildlichkeit und Mittel gleich blieben, fand Alden auch keinen passenden Ausdruck für die substantiellen Unterschiede zwischen den Werken. Er bediente sich einfach bei derselben Konfektion.
Das kann man der Dirigentin Simone Young so keineswegs nachsagen. Bei der Premiere von „La Battaglia di Legnano“ war sie vom Rang aus übel angepöbelt worden und hatte die Anfeindung dann durch Detailarbeit und intensive Momente Lügen gestraft – Momente, in denen sie in kontrolliert bewegter Agogik die inneren Antriebsmomente dieser zwischen Chor-Pathos und Seelenlyrik extrem gespannten Musik spürbar machte. Ähnlich wie dann auch bei den „Foscari“ hielt sie dieses Niveau zwar nicht immer durch, manches kam hier wie dort dann doch wieder sehr breit und gradlinig daher. Aber die wirklich grandiosen Duette und Ensembles, in denen die „Foscari“-Partitur die der „Battaglia“ bei weitem überragt, brachte sie durch aufmerksame Sängerführung, tadellose dynamische Balance und genauste Koordination eindrucksvoll zur Geltung.
Aber ach – Hamburg, deine Sänger! In „La Battaglia die Legnano“ war der zwar weder stilbewusst noch sonderlich differenziert zu Werke gehende, aber zumindest virile, mitreißend feurige Tenor Yonghoon Lee als Arrigo der einzige gewesen, an dessen Stimme man wirklich Freude hatte. Während der Bariton Giorgio Caodura in seiner wabernden Stimmführung ein arg unscharfes Bild des Rolando entwarf und die Sopranistin Alexia Voulgaridou ihre Lida zwar bisweilen schön lyrisch leuchten ließ, aber für deren extreme Seelennöte weder die dramatische Kraft noch die brillante Attacke aufbrachte. Auch in den „Foscari“ waren alle drei Hauptpartien unter dem Niveau besetzt, das man an diesem Haus erwarten kann. Was Amarilli Nizza als um ihren verstoßenen Gatten barmende Lucrezia an grellem Dauerforte ablieferte, hatte mit der Stilistik dieser Sopran-Partie wirklich nichts mehr zu tun. Auch der Tenor Giuseppe Filianoti war in der Höhe überfordert, gab aber dem zu Unrecht verfolgten Dogensohn Jacopo Foscari durch seine expressive Stimmführung immerhin einiges an Profil mit ins Bühnenleben. Und Andrzej Dobber fehlte Verdis typische Bariton-Eleganz ebenso wie das reine Timbre, aber die Zerrissenheit des alten Francesco Foscari zwischen Dogenpflicht und Vaterliebe machte er bewegend spürbar. Eindrucksvoll waren auch die von Eberhard Friedrich einstudierten Chöre, wobei man den Eindruck nicht ganz los wurde, dass das steife Stehen auf der Empore der Lebendigkeit der Deklamation nicht gerade förderlich war.
So blieb als Fazit der ersten beiden Teile dieser Trilogie ein Maß an Dankbarkeit dafür, dass die Hamburgische Staatsoper die Begegnung mit diesen Raritäten möglich gemacht hat. Ein bisschen sorgfältiger hätte man den frühen Verdi aber doch ins Visier nehmen können. Das Publikum jedoch war offenbar zufrieden und bejubelte am Ende beide Abende und ihre Protagonisten ebenso lautstark, wie diese überwiegend gesungen hatten.