Foto: "Greek" im Postpalast bei den Münchner Opernfestspielen © Wilfried Ho?sl
Text:Klaus Kalchschmid, am 28. Juni 2017
Der Ort ist das eigentliche Ereignis dieser Premiere: „Pantheon für Postpakete“ wird der Rundbau aus den 1920er Jahren mit 52 Metern Durchmesser genannt, der getragen wird von acht schlanken Pilzsäulen und einst eine Sortierhalle für Pakete war. Lichtdurchflutet, nicht zuletzt durch den Aufsatz eines riesigen „Glas-Tambours“ in der Mitte, hat der Bau etwas Sakrales. Bislang schon für Parties, als Showroom und Konzerte genutzt, bespielt die Bayerische Staatsoper den sogenannten „Postpalast“ nun erstmals mit Musiktheater, wofür das Publikum auf Tribünen rundum sitzt, hinter denen schwarze Vorhänge das um 20:30 Uhr immer noch helle Licht abschirmen, während es auf der Spielfläche in der Mitte innerhalb der nächsten 80 Minuten Spielzeit allmählich dunkler wird und Kunstlicht wirkungsvoll eingesetzt werden kann.
Als Auftakt der Festspielwerkstatt innerhalb der Münchner Opernfestspiele gibt es nun zum zweiten Mal in München Anthony Turnages erfolgreiches und mehrfach nachgespieltes Musiktheater „Greek“, eine moderne Adaption des Ödipus-Mythos. Die Uraufführung fand bei der ersten „Biennale für neues Musiktheater“ im Jahr 1988 statt – in der englischen Originalfassung und damals natürlich ohne Übertitel. So verwundert bei der erneuten Begegnung nicht, dass die Musik des Kammerorchesters mit ihrer Strahlkraft und Expressivität, Vielschichtigkeit und diffizilen Instrumentation kaum etwas an Überzeugungskraft eingebüßt hat. Die deutsche Übersetzung und der Plot, der im Upperclass London der 1980er Jahre spielt, erscheinen dagegen allzu platt, ja peinlich in ihrem wenig authentisch wirkenden Gossenjargon.
Es beginnt plausibel mit dem jungen Eddy (großartig wendig mit ausdrucksvoll kernigem und doch warmem Bariton und Sympathieträger: Tim Kuypers), der die Kunde zweier Wahrsagerinnen, dass er seinen Vater töten und mit der Mutter schlafen wird, nutzt, um endlich auszubrechen. Es erwarten ihn Streiks, Krawalle, Ausschreitungen. Im Streit tötet er versehentlich den Betreiber eines Cafés und wirft sich dessen Frau an den Hals – es wird die große Liebe. Nun wird es konstruiert und bleibt weit hinter der antiken Vorlage zurück: Weil die Sehnsucht nach den Eltern groß ist, besucht Eddy sie und erfährt, dass sie den Zweijährigen nach einer Schifffsexlosion mit seinem Teddybär gerettet haben. Da fällt es Eddy wie Schuppen von den Augen und bald ringt er lange mit sich, ob er sich wie weiland Ödipus die Augen ausstechen soll. Dank Kuypers wird daraus eine ergreifende Szene, auch wenn die Entscheidung dagegen und für ein neues Leben, dramaturgisch und im Text wieder gefährlich knirscht. Dass zwischendurch wie ein deus ex machina eine doppelte Sphinx erscheint – hier bedrohen Miranda Keys und Okka von der Damerau Teddy/Ödipus in aufblasbaren Venus-von-Milo-Kostüme wie Urmütter – macht wenig Sinn, wie man sich überhaupt zur Musik Turnages einen besseren Text und eine bessere Musikdramaturgie wünschen würde.
Wolfgang Nägele versucht in seiner Inszenierung zugleich, abstrakt zu bleiben, was die Schauplätze angeht, psychologisch aber und im Spiel sehr konkret zu werden. Also fahren auf Schienen laut quietschende alte rostige Gefährte auf die Bühne, in denen sich unter Eisenstangen sitzen oder auf ihnen herumklettern lässt (Bühne und Kostüme: Franziska Boos). Das ist schön gedacht, aber wenig praktikabel, obwohl Robert Bork (Dad/Café Manager/Polizeichef) seine Sache ebenso gut macht wie die manchmal sehr britisch erzkomische Miranda Keys (Mutter/Kellnerin 2/Sphinx 1) und die wie immer wunderbar samten klingende Okka von der Damerau (Ehefrau/Kellnerin 1/Sphinx 2).
Den Abend trägt neben dem exzellenten, subtil verschiedenste Tonfälle treffenden Staatsorchester unter Oksana Lyniv Tim Kuypers als Eddy: Denn diesem charismatischen jungen Bariton aus den Niederlanden glaubt man einfach alles, egal wie gespreizt, pathetisch oder platt anzüglich der Text ist und auch wie sperrig manchmal der Sprechgesang von Turnage anmutet.