Foto: Marion Fuhs und Markus Penne in der Deutschen Erstaufführung von „Missgeburt“ am Pfalztheater Kaiserslautern. © Markus Kaesler
Text:Rainer Nolden, am 22. März 2012
Der Kinderwagen piept und blinkt; unaufhörlich ziehen Fieberzahlen und Herzkurven auf einem Display vorbei. Manchmal leuchten Versorgungsschläuche farbig auf. Doch das Gefährt ist kein Kinderwagen, sondern eine rollende Intensivstation, die das Überleben von Nicks und Colbys Baby garantieren soll. Das ist, zumindest in den Augen der Mutter, auch kein Baby, sondern eine Missgeburt – ohne Hände, ohne Beine, ein nutzloser Fleischklumpen mit einem Auge. Auf dem Ultraschallbild ist bloß ein „smudge“ zu sehen, ein Schmierfleck, und „Smudge“ ist das Stück auch im amerikanischen Original überschrieben. Das klingt ein bisschen sanfter und netter als der deutsche Titel „Missgeburt“.
Rachel Axler heißt die junge Autorin, die „Smudge/Missgeburt“ geschrieben hat. Sylvia Richter hat es im Pfalztheater Kaiserslautern als deutschsprachige Erstaufführung inszeniert. Ein Sujet, für Horrorstreifen und schwarzhumorige Filme, im edelsten Fall für Tragödien geeignet, in denen es um Mutterliebe, Vaterstolz, gesellschaftliche Anerkennung und Ächtung, berufliche Karriere, private Katastrophen, philosophische Diskurse, Sinn und Wert des Lebens … in dem es also um eine ganze Menge geht und definitiv zu viel für knapp zwei Stunden.
Zahlreiche Fäden legt die Autorin aus, doch anstatt sie zu verknoten, verheddert sie sich darin. Man merkt ihrem Stück an, dass sie häufig fürs Fernsehen arbeitet. Kurzatmig haspelt sie die Szenenfolge ab, baut rasch einen Lacher ein, wo zu viel Tiefgang droht, gründelt philosophisch, wenn die „action“ ins Stocken gerät, schreibt auf Pointen hin, die nicht immer knallen.
Die Schauspieler machen aus der unentschlossenen Vorlage das Bestmögliche. Marion Fuhs lotet als Colby alle Facetten einer jungen Mutter aus: erwartungsfroh-banger Stolz, abgrundtiefe Frustration, Wut auf sich selbst und die anderen, todtraurige Resignation, Flucht vor der Realität, brennender Hass und zaghafte Liebesversuche. Daniel Mutlu gibt Nick als gutmütigen Schluffi von der Statistikbehörde, der sich, überfordert mit der häuslichen Situation, in abstruse Meinungsforschung versteigt und die Bevölkerung nach der Lebenswertigkeit unterschiedlicher Kreaturen von der Kakerlake bis Paris Hilton befragt. Damit setzt er seine berufliche Karriere, die er im Grunde nur seinem Bruder Pete verdankt, in den Sand. Diesen Pete verzerrt Markus Penne bis zur schrillen Karikatur. Er spielt einen nervigen Macher, der wie aus einer überdrehten Highschool-Komödie in das Stück gefallen zu sein scheint. Hier hätte Regisseurin Richter bremsend eingreifen müssen. Aber wer weiß – vielleicht hat sie, mit einem Auge die jugendlichen Theaterbesucher im Blick, seinem Affen sogar Zucker gegeben?
Am Ende lassen Colby und Nick das Leben, wie es hätte sein können, wenn ihre Tochter „normal“ gewesen wäre, im Zeitraffer an sich vorbeisausen: Kindergarten, Schule, erster Kuss, erster Liebeskummer, College, Heirat, Kinder … Okay, das mag man als „American way of kitsch“ abtun. Anrührend ist es allemal.