Foto: Sven Prietz, Caroline Peters und André Jung in der Salzburger Walser-Uraufführung © SF/Ruth Walz
Text:Detlev Baur, am 19. August 2019
„Eine finstere Komödie“ heißt Theresia Walsers bei den Salzburger Festspielen uraufgeführtes neues Stück im Untertitel. Das Stück „Die Empörten“ war ursprünglich als „Antigone“-Überschreibung gedacht und entwickelte sich schließlich zu einem grotesk zugespitzten Spiel, an dessen Beginn im Rathaus einer Kleinstadt der Entsorgungsversuchs einer Leiche durch Schwester und Bruder steht. Die Schwester Corinna ist Bürgermeisterin, bekommt regelmäßig Drohbriefe samt Scheißsendungen und hat es mit einer ehrgeizigen rechtspopulistischen Widersacherin zu tun. Diese schlachtet das Unglück oder Attentat, bei dem ein Auto in die Fußgängerzone raste, weidlich aus; auch sie will auf der Trauerfeier sprechen, in der des Todesopfers gedacht werden soll. Der Fahrer des Unglückswagens war – das ist aber noch ein Familiengeheiminis – der Bürgermeisterinnenbruder, ob als verunglückter Selbstmörder oder Amokfahrer, bleibt offen. Walser hat also die Familientragödie mit der Krise von Demokratie und Abendland verbunden, das mit einer Prise Tür-auf-Tür-zu-Drama vermischt und dazu schöne Dialoge geschrieben. Man könnte sagen, sie personalisiert in dem Stück die Aporien der Gesellschaft und zeichnet überdeutliche Figuren in einem vagen Ambiente.
Dabei bleibt jede Spannung durch eine dramatische Entwicklung auf der Strecke. Vielmehr werden Themen wie Hass, Anspruch auf Glück, der Umgang mit Opfern, die Frage nach Heimat unterhaltsam kontrovers und in fast sprachmusikalischen Dialogen durchgespielt; die Situation vor der Trauerfeier bleibt allerdings reichlich unpräzise. Befinden wir uns im Arbeitszimmer der gewählten Bürgermeisterin oder in einem anderen Raum? Warum kann die rechtspopulistische Kandidatin, die nur vielleicht Oppositionsführerin im Stadtrat ist, auf der Trauerfeier auch sprechen? Und warum haben es die Geschwister zwischendurch gar nicht mehr eilig mit der Entsorgung der Leiche?
Die Schlammschlacht hinter den Kulissen bewegt sich sowohl im gesellschaftlich Umfassenden wie im Ungefähren; die Rechtspopulistin will ausgerechnet den Tod eines Bürgers muslimischen Glaubens, der Opfer eines Bio-Deutschen geworden ist, ausschlachten; die liberale Bürgermeisterin hat auch Dreck am Stecken, da sie Industriepolitik über das Wohl der Einwohner stellt – wie ihr ausgerechnet von der Frau des Toten vorgehalten wird.
Im Hintergrund der Bühne erscheint bei dieser Koproduktion der Salzburger Festspiele und des Staatstheaters Stuttgart (Salzburger Spielort ist das Landestheater) ein idyllischer Ort am Alpenrand, vorne befindet sich ein großer Raum, altdeutsch (oder -österreichisch) sind die Wände mit dunklem Holz getäfelt. Ansonsten bietet Florian Ettis Bühne eine sarggroße Holzkiste und den Schreibtisch der Bürgermeisterin. Später bewegt sich der fotografische Hintergrund immer dramatischer ins Hochgebirge, eher als Behauptung, denn aus innerer Verbindung mit dem Geschehen.
Gleich zu Beginn dreht Caroline Peters als ehrgeizige Stadtlenkerin auf und zeichnet das Bild einer überambitionierten Politikerin und gefühllosen Schwester. Der weinerliche Bruder (Sven Prietz) spielt eher eine kontrapunktische Rolle. Anke Schubert legt in die Rolle der Witwe Achmedi viel Würde, Silke Bodenbender zeichnet ein klares, allerdings etwas blasses Bild der rechtspopulistischen Rivalin. Immerhin entgeht die Uraufführung so der Gefahr einer Gleichgewichtung der beiden Politikerinnen, die eine weitere Untiefe des Textes ist.
Das große Glück der Inszenierung ist André Jung in der Rolle des Sekretärs und Redenschreibers Pilgrim. Er leidet unter der Missachtung durch die Lichtschranke der Tür, schreibt auch der Gegenspielerin die Rede, ist ein Duckmäuser und Mitläufer – und wird zunehmend zum Zentrum der Inszenierung von Burkhard C. Kosminski: spätestens, wenn er auf einer Klappleiter sitzend, das Kreuz je nach Ansprechpartner auf- oder abhängt, es schließlich wie ein Baby oder eine Gitarre in Händen hält. Jung spielt immer die Distanz zu der Figur mit und schafft durch seine oft leisen Töne eine spannende Mischung aus Mittelmäßigkeit und Abgründigkeit. Der einsame Mann im überlangen Frack wird als Wendehals und zugleich Adressat der Machtspiele zur Hauptfigur dieser „Empörten“. Das ist sehenswert und ein Pluspunkt der Inszenierung. Der Rest bleibt ein vages, teils komisches Spiel, das zu viel will. Kurzer, starker Beifall.