Foto: Exit Europa. Requiem für einen Kontinent – Axel Vornams Schauspielkollage zur europäischen Ideen- und Utopiegeschichte am Stadttheater Heilbronn. © Thomas Frank/Fotostudio M42
Text:Elisabeth Maier, am 2. Mai 2011
Vermummte drücken sich zwischen leeren Euro-Paletten herum. Sie schreien kämpferische Parolen. „Europa ist ein Kontinent, der pleite gegangen ist. Der heimlich bei Lidl einkauft und Billigflüge nutzt, um überhaupt reisen zu können.“ Die Zeilen stammen aus dem Manifest „Der kommende Aufstand“, mit dem ein unsichtbares Komitee vor allem in den Feuilletons für Schlagzeilen sorgte. Dessen Mitglieder fordern, dass die Jugend aufstehen und die Demo-kratie zu Grabe tragen soll. „Es wird knallen“, brüllt einer in den Raum. In der Collage „Exit Europa – Requiem für einen Kontinent“, die Intendant Axel Vornam am Theater Heilbronn inszeniert hat, hallen diese zornigen Worte nach. Bühnenbildner Tom Musch setzt mit den Sperrholzpaletten einen ironischen Kommentar. Er zeigt die selbsternannte Wiege der Zivili-sation nach dem Ausverkauf.
Mit der Autorin Peggy Mädler und dem Dramaturgen Christian Marten-Molnar hat Regisseur Vornam eine prägnante Textauswahl getroffen, die das Unbehagen in der Gegenwartskultur spiegelt. Für die Schauspieler bedeutet das politische Theaterprojekt, Grenzen zu überschrei-ten. Denn das Konzept des Regieteams birgt die Gefahr einer szenischen Betroffenheits-Lesung in acht Stationen. Obwohl das Publikum auch mit philosophischem Ballast gegen die Wand gedrückt wird, brechen die Schauspieler immer wieder aus der Textlastigkeit aus. Sie entwickeln ein starkes Szenario, das Zeiterfahrung auf mehreren Ebenen spiegelt. Dazu trägt Alexander Suckels Musik bei, die Angsträume evoziert. Die experimentierfreudigen Musiker der Band peitschen das Ensemble in einen unruhigen Fluss hinein. Ralf Schmerbergs Doku-mentarfilm „Problema“, in dem Künstler und Wissenschaftler auf dem Berliner Bebelplatz um Lösungsansätze für die globale Krise ringen, folgt auf Ernst Tollers expressionistische Maschinenstürme.
Den Seiltanz meistern die Schauspieler, weil Vornam ihnen Raum für virtuose Sprachspiele lässt. Das zeigt sich bei Ausschnitten aus Kathrin Rögglas „Draußen tobt die Dunkelziffer“. In dem viel gespielten Stück geht es um Kredite, die Menschen geißeln. Mit ihrer Sprachkraft zerrt Röggla Ursachen der Wirtschaftskrise auf eine persönliche Ebene. Ein Statistenchor kommentiert die Taten der Akteure. Und das Regieteam schöpft nicht nur aus der Literatur. Tagesprotokolle von Heilbronner Bürgern, die – isoliert gesehen – belanglos scheinen, zeigen die Zwänge und die selbst gewählte Unmündigkeit der Generation Europa, die verzweifelt nach Rettungsankern greift.