Foto: Wolfgang Kochs Falstaff und Statisterie an der Bayerischen Staatsoper © Wilfried Hösl
Text:Ute Grundmann, am 3. Dezember 2020
Falstaff findet sich immer noch unwiderstehlich, wenn er eine Frau singend anhimmelt und dann routiniert zugreift. Aber um Alices Liebesbriefchen zu entziffern, braucht er eine Lesebrille… Solche kleinen Nebenbei-Geschichten erzählen viel über den Titelhelden in Verdis letzter Oper, doch leider kommen sie in der aktuellen Inszenierung viel zu selten vor. Mateja Koležnik hat das Werk an der Bayerischen Staatsoper als gebremsten Trubel in Szene gesetzt.
Wann bekommt man schon mal eine Stückeinführung vom Staatsintendanten? In Streaming-Zeiten. Nikolaus Bachler spricht die Handlung – nach Shakespeare – leicht kommentierend in die Kamera, danach gibt es viele schöne Bilder des prachtvollen Foyers, ehe die Vorstellung mit leichter Verspätung beginnt.
Die Bühne ist kühl und karg. Raimund Orfeo Voigt hat einen niedrigen, rechteckigen Bau darauf gestellt, mit 16 Türen – sie sollen buffoneskes Rein-Raus-Türenschlagen möglich machen. Doch zunächst wird hier um Glück und Geld gespielt, dass die Scheine nur so fliegen; knapp bekleidete Bunnys reichen dazu Zigarren an. Sir John (Wolfgang Koch) hat es nach dem Willen der Regisseurin in ein Casino verschlagen, wo er zunächst mit Ford (Boris Pinkhasovich) und dessen Mafia-Gefolge eine brüchige Kumpanei pflegt. Nur die Rechnung für die Fete kann er nicht bezahlen, fürs knappe Trinkgeld reicht es gerade noch.
Sie wolle die Reichen und Schönen gegen „die da unten“ zeigen, die bürgerliche Gesellschaft vorführen, schildert Mateja Koležnik die Intention ihrer ersten Opernregie – in einem Einspieler während der 30 Minuten langen Pause. Die wird durchgehalten, als sei man im traurig leeren Theater, nicht am heimischen Bildschirm.
Und zunächst funktioniert dieses Spiel im Spielcasino auch gut. Zumal, wenn Wolfgang Koch in seinem Rollendebüt nur mit der Stimme das Casino zum Rotieren bringt, in einem Atemzug von freundlich zu bedrohlich wechselt und ein sich bückendes Bunny ihm diese Stimme fast raubt. Doch die Mafiosi mit viel Herrenschmuck, die von Helmut Dietl ersonnen sein könnten, werden immer stereotyper.
Und bald zeigen sich auch die Probleme der Konzeption, denn „die da unten“ kommen nur als Diener*innen – also am Rande – vor, schieben Wäschekörbe, die man in keinem Casino sehen lassen würde oder putzen den Reichen hinterher. Und auch, wenn man Klischees entlarven will, muss man sie erstmal auf die Bühne bringen: So kramen die Damen um Alice (Ailyn Pérez) ausgiebig in Kleider- und Schuhschränken, wofür die hohen Türen auch taugen. Und leider kommen Komik, Hohn und Spott, vom Bayerischen Staatsorchester unter Michele Mariotti mit Wucht und Wonne auf- und ausgespielt, auf der Bühne viel zu selten an.
Oft stehen da – strikt getrennt – Frauen (die „Schönen“) und Männer (die „Reichen“) in Gruppen, singen zum Virusschutz Richtung Rampe, Abstand aber wird nicht gehalten. Tempo und Türenklappen fehlen, stattdessen viel Steh- und Gehtheater. Das alles wird unter der Bildregie von Christoph Engel lebendig gemacht: Ständiger Wechsel von Totale, Halbtotale und Nahaufnahme, aus den vielen Parallelszenen wird, wie bei einer Fernsehshow, die vermeintlich beste herausgegriffen. Insgesamt bleiben die fast drei Stunden ohne große Höhepunkte, wenn da nicht Wolfgang Koch und Elena Tsallagova wären. Ihre Nannetta ist wunderbar verliebt, fast verlobt, drückt die Sehnsucht und Traurigkeit in hohen, langen, berührenden Tönen aus, singt Fenton (Galeano Salas) aus seinem vorgegebenen Beamten-Habitus glatt heraus. Noch als knapp bekleidetes Revuegirl im gar nicht gruseligen Geisterwald ist sie überzeugend.
Und dann Wolfgang Kochs Falstaff. Auch wenn die Regie ihn mehrfach in Unterwäsche, Korsett, Socken und entsprechenden Haltern sowie schließlich mit Geweih erscheinen lässt – er zeichnet fein, wandelbar und facettenreich eine komplexe Figur. Liebesselig und -dusselig, aber auch kindlich-erstaunt auf diese Welt schauend, mal ratlos, mal wütend. Und wenn er am Ende der Farce (bei der Falstaff mehr musikalisch als szenisch gejagt wird) der Verlierer sein soll, ist Wolfgang Koch das Gegenteil. Zwar leise, abgekämpft, geht er doch in dunkel gesäumter Erinnerung und Erkenntnis nicht unter. Er bleibt der gradlinigste Charakter dieser Inszenierung.
„Falstaff“ ist ab 5.12. als Video-on-Demand auf staatsoper.tv zu sehen.