Foto: Familienbild aus "No Mans Land" mit Holger Foest, Nina El Karsheh und Lysann Schla?fke. © Karl-Bernd Karwasz
Text:Detlev Baur, am 1. Dezember 2011
„No Mans Land“ bezeichnet so exakt wie vieldeutig die Verlockungen und Gefahren virtueller Spielwelten. In Roel Adams gleichnamigem Stück gerät die 14-jährige Nele eher durch Zufall in den Sog ihres digitalen Partners Kisho. Ihr Vater ist gemeinsam mit einer japanischen Firma an der Entwicklung eines neuen Online-Spiels beteiligt. Nach der Trennung von Frau und Tochter kommuniziert er noch per Skype mit Nele und schickt ihr dabei aus Versehen das Original des Spiels. Allein aus Trotz kann die dem Öffnen der angeblich gefährlichen Datei nicht widerstehen. Und so gerät sie in eine sterile Märchenwelt, in der sie die Identität einer perfekten Prinzessin annehmen kann. Zwar hält Nele wenig in der Schule oder im Elternhaus, aber am Ende wird sie ausgerechnet durch den Todesgott Anubis und Übervater des Spiels wieder ins Elternhaus zurück gelenkt.
Das etwas krude Pubertätsstück aus den Zeiten alltagsbestimmender Computerwelten wird von Marie Rodewald am Jungen Staatstheater Braunschweig durchweg multimedial inszeniert. Dabei bügelt sie manche Schwäche des Textes aus – und verschiebt den Schwerpunkt vom einsamen Mädchen, das nicht mehr zur Schule geht und von seinen Eltern vernachlässigt wird, zu den kindischen Eltern. Die sind arg klischeehaft angelegt: Der Vater glaubt auch digital Papa bleiben zu können und gibt sich ansonsten ganz seiner Leidenschaft für eine blonde friesische Bäuerin hin, während die Mutter dem Alkohol verfallen ist. Rodewald und ihre Videogestalter (Marat Burnashev und Gregor Dobiaschowski) machen von Beginn an die Eltern (Nina El Karsheh und Holger Foest) zu Geistern, die hinter einem Spaghetti-Vorhang hausen und noch verdoppelt werden, indem Video-Projektion darauf geworfen werden. Das wertet diese gescheiterten Erwachsenen als Leidende deutlich auf („Wir sind nicht erwachsen. Und das ist das eigentliche Problem.“). Zugleich gerät Neles (die Rostocker Schauspielstudentin Lysann Schläfke) Welt inmitten vieler Stofftiere vorne rechts (Bühne: Caroline Schwarz) fast in den Hintergrund. Die Mutter gräbt unter dem Holzboden Hochprozentiges aus und erscheint mit ihrer Tochter projiziert auf dem Sofa. Das alles ist videotechnisch bemerkenswert hergestellt und ins Spiel hineinkomponiert. Die Identifikation mit der Hauptfigur dürfte jugendlichen Besucher dadurch allerdings nicht gerade leicht gemacht werden. Am Ende dominiert das Geisterspiel zwischen abgedrehten Eltern und kommerziell beschränkten Figuren einer digitalen Märchenwelt. Da ist es konsequent, dass der Nele zurückholende Anubis eigentlich ihr Vater ist, der unbedingt an seine Datei kommen möchte. Ein böses Happy End für ein grausiges Alice im digitalen Land der egoistischen Geister.