Dank des Tanztheaters gehen einem hier die Boxkämpfe der Heranwachsenden, die brutalen Überfälle der Neonazis, das Versinken des Techno-Clubs in Schwaden und Splitter des Drogenkonsums direkt unter die Haut, obwohl sie keineswegs realistisch nachgespielt werden. Aber wie die Boxer “tanzen”, wie Bedrohung körperlich markiert wird, wie Schläger immer auf denselben einrennen, wie ein ekstatischer Diskotaumel in Zerstörung endet, das wird in hochenergischen, suggestiven Bewegungsfindungen spürbar gemacht, denen sich wohl keiner entziehen kann.
Dabei wird die Geschichte ja aus der Perspektive des Jungen Dani erzählt, in dessen Erinnerungen in der nebel- und beatgefüllten Bühnen-Blackbox immer wieder Szenen jener Jahre des persönlichen, körperlichen wie sozialen Umbruchs aufsteigen. Szenen, die hier durch ihre körperliche Interpretation tatsächlich dazu führen, dass man ein Stück weit ein Gefühl für diese Zeit entwickelt.
Robert Prinzler gibt dem Kumpel aller Entrechteten seines heruntergekommenen Stadtviertels ansteckend Aura. Wir erleben in ihm und mit ihm eine Achterbahn der Gefühle zwischen Schrei und Verstummen, wie sie den verstockten Auffälligen von links oder rechts so oft abgesprochen werden. Da bittet ihn Rico, sein “Bruder”, wie er ihn nennt, sich von den Nazis jagen zu lassen, damit er, den sie vorher gedemütigt haben, als sein Verräter gilt und bei ihnen eine Nummer wird. Angeblich zum Schein, bis er stark genug ist, mit ihnen abzurechnen. Man bekommt ein Gespür für die Perspektivlosigkeit einer Generation, der wir Westler doch gerade unendliche Perspektiven zu eröffnen glaubten.
Wie rührend noch der Anfang, wenn Dani mit der FDJ-Gruppenratsvorsitzenden anbandelt. Wunderbar lässt Larissa Semke den noch unentdeckten Abschiedsschmerz der zur Ausreise Bestimmten spüren, während sie ihn beklettert, halb Kinderspiele, halb erotische Erkundung. Dann das Schlüsselerlebnis Fußballkrawalle, die Dani und Rico von der Gruppe des Ensembles eingeklemmt erleben. Und wenn er später den immer weiter abdriftenden Rico halten und bergen will, liegt Dani ganz auf ihm. Johannes Kienast spielt Rico als Kraftprotz voller Verletzlichkeit. Als er entdeckt, dass sein Verräter Maik (Julius Olbertz) zu Hause vom Vater (Hakan Sonakalan) geprügelt wird, nimmt er ihn in die Gruppe auf. Stark ist Kienast besonders nach Ricos Rückkehr aus dem Knast, als er die alte Rolle des Alphamännchens noch nicht wieder draufhat und gehetzt, wie auf der Hut reagiert wie im Bau. Man ahnt, dass er kein bürgerliches Leben finden wird.
Es sind so viele gefallene Sterne rings um Dani. Die einst verehrte Estellita räkelt sich eine Runde als Stripperin über die Schrägen, “ich habe immer gern getanzt”, und muss sich dann Ricos Triebstaus erwehren. Walter verliebt sich in eine ältere Lottoangestellte, was Joshua Seelenbinder mit so viel ehrlichem Schwarmton erzählt, dass man sich wundert, dass er abblitzt. Und wenn Mark (Renato Cinquegrana) in einem ehemaligen Pornokino seinen Drogentod stirbt, gibt nur die flackernde Filmspur Licht, während sich Dani an Winnetous Film-Tod vor Old Shatterhand erinnert. Auch Freundschaft kann manchmal vor dem Schlimmsten nicht bewahren.
“Als wir träumten” – Clemens Meyers entheimatete DDR-Jugend glich eher Desperados, die westgemachten Konsumträume interessierten sie offenbar genauso wenig wie die politischen Visionen. Hier gings ums blanke Leben. Wir nehmen es in all seiner bitteren Süße der Freundschaft und seinem Schmerz aus feindlichen Zonen wahr. Denn Wesemüllers Gespür für die ehrliche Betonung, die dynamische Differenzierung von krawalligen bis zu ganz leisen Stellen ist perfekt. Und Zölligs Ideenreichtum, die Emotionen direkt aus den Körpern zu holen, ebenso. Und das Ensemble kann es. Gratulation für ein exemplarisches Stück Tanzschauspiel.