Foto: Harmut Jonas (Mensch) in Konstantin Küsperts Endzeit-Monolog „Asche“. © Landestheater Detmold/Henrik Pfeifer
Text:Jens Fischer, am 28. Januar 2018
Eindrucksvoller Monolog nach der Apokalypse am Landestheater Detmold:„Asche“ von Konstatin Küspert.
Etwa ein Prozent der Deutschen stirbt jährlich. Die Hälfte im Krankenhaus, ein Drittel in Pflegeeinrichtungen, 10.000 bringen sich selbst um. Letztendlich aber begegnen wir ihm alle: dem Tod. Einst von Religionen noch als Durchgangsstation zu einem besseren Leben in ein Sinn stiftendes Glaubenssystem eingebunden, macht er in unserer rational auf Effizienz getakteten Welt dank seiner Unkontrollierbarkeit vor allem Angst. Dass Leben die Krankheit zum Tode ist, bleibt Beleidigung des menschlichen Verständnisses, selbstbestimmt zu sein. Eine empörende Tragödie des Verschwindens. Weswegen Sterben eher tabuisiert oder ins Private ausgelagert wird. Das Endzeitliche hingegen ganz grundsätzlich in den Mittelpunkt des Denkens und Tuns zu rücken, ist Auftrag des „Menschen“ in „Asche“. Ein Monolog. Notwendigerweise. Denn der Protagonist scheint der letzte Überlebende auf Erden zu sein. Aus der postapokalyptischen Zukunft wurde er in die Gegenwart der Landestheaters Detmold gebeamt. Als Mahnung, es nicht so weit kommen zu lassen. Und als Aufforderung, sein Leben zu nutzen. Konstantin Küspert kommt in diesem sachlich dunklen Gedankenexperiment vom konkreten Ausgangskonflikt ins ganz große Hamlet-Grübeln: Sein oder nicht Sein …
Da liegt er also, der „Mensch“ in seiner existenzialistischen Grundsituation auf einer 45 Grad in den Theaterraum gekippten Spielebene (Bühne und Kostüm: Fabian Wendling), die reichlich Möglichkeiten für Gratwanderungen am Abgrund bietet. Der Holzboden – grau meliert. Das Kostüm: von obdachloser Schäbigkeit. Die Wände: von bruchsteinroher Historizität. Erbaut auf dem Fundament eines Hospizes, wurde das Gebäude der heutigen Studiobühne einst als Zuchthaus genutzt und war 1801 Geburtsort des Dichters Christian Dietrich Grabbe. Ein Blick zur Decke lässt Schwarz sehen. Und wie tot liegt er da, Hartmut Jonas als „Mensch“. Gibt mit leichtem Schnaufen erste Lebenszeichen. Mit leisem Stöhnen rappelt er sich auf und frohlockt: „Wenigstens die Sonne ist noch die gleiche.“ Denn um ihn sei nur noch Wüste, sagt er. Überall „kleine Aschehaufen, Exmenschen aus Kohlenstoff und Knochenresten“. Das Paradies Erde ist zerstört. „Es hat lichterloh gebrannt, 52 Tage lang, und dann wars vorbei, mit einem großen Knall, und dann waren alle tot, Adam, Eva, die Schlange, der Baum, Gott, alle sind umgekommen in dem Inferno, vollständig verbrannt, griechisch holókauston, eine Sintflut aus Feuer, Asche und Gammastrahlung.“
Es ist die poetische Klarheit der Sprache, die dem handlungslos folgenden Diskurs gebannt folgen lässt. Denn der „Mensch“ ist hin und her gerissen, ob er die Selbstvernichtung als des Menschen Weisheit letzter Schluss akzeptieren soll, sich also einfach hinlegen, in Ruhe und Frieden dem Untergang erliegen und sich als lebensunwürdig euthanasieren – oder gilt es, sich zu wehren? Schließlich funktionieren Körper und Geist „noch leidlich“, wie er sagt. Auch der Nicht-aufgeben-Trieb tut seinen Dienst, und stets lässt sich irgendwo eine nicht pulverisierte Dose Ravioli ausbuddeln und damit das eigene Kraftwerk füttern. Droht die Stimmung trotzdem mal ins einsam Depressive zu verrutschen, kommt von irgendwo ein sattgrünes Leuchten, ein sanftgrüner Schimmer, ein plastikgrüner Kugelschreiber daher – und verheißt Hoffnung. Plötzlich scheint es dem Protagonisten dann reizlos, den Abzug einer an die Schläfe gehaltenen Waffe wirklich zu drücken. Es wuchern Erinnerungen in den Sprachfluss an glücksselig heil erinnerte Tage bei Oma auf dem Bauernhof. Sollen Mut machend den Drang zum Leben als etwas Kostbares aufzeigen. Als Imperativ, sich zurück in die Zukunft höher zu entwickeln – als es dem suizidal von Krieg zu Krieg eilenden homo sapiens sapiens gelungen ist. „Es muss weitergehen“, lautet der Empowerment-Schrei auf dem Friedhof der Evolution. Gründe? Eher so ein Gefühl. Der Asche müde beginnt also der Bühnen-„Mensch“, Humus zu mixen und Pflanzen keimen zu lassen. Auf dass ihm so richtige Kalendersprüche aus dem Mund gleiten: „Wenn man stehen bleibt, findet man nie, was man sucht.“
Die Sinnstiftungsdebatte wird mit sonor vibrierender und bärtiger Artikulation, aber auch mit kernig lauten Gefühlsausbrüchen in heldenhafter Männlichkeit dargeboten. Nur, warum redet der „Mensch“ überhaupt? So ganz allein? Nicht so klar. Er berichtet zwar mal vom Bunkerleben mit anderen Überlebenden, aber die scheinen ihm abhanden gekommen, nur noch in seinem Verfolgungswahn real zu sein. Da er als Diskussionspartner aber ein Gegenüber braucht und Darsteller Jonas jemanden zum Anspielen, so spricht er das Publikum direkt an. Als wäre es die mephistophelische Widerspruchsstimme in seinem Kopf. Muss sich auch immer mal wieder beschimpfen lassen – und ist so unmittelbar in die Auseinandersetzungen eingebunden.
Zu erleben ist eine angenehm moralinfreie, sich immer wieder selbst ins Wort fallende Reflexion in einer stückdienlichen Uraufführung. Dank einer genau die roten Fäden der Textflächen sezierenden Sprachregie Kathrin Mayrs – und einem das Denken zwischen Aufbruch und Aufgabe physisch wie emotional beglaubigenden Darstellers.