Foto: Fast wie bei der Marquise von O.: Zahnarzt McTeague (James Allen Smith) nähert sich der betäubten Trina (Tijana Grujic) © Manja Hermann
Text:Andreas Falentin, am 24. März 2019
Die nordamerikanische Oper der letzten 30 Jahre hat Konjunktur auf unseren Bühnen. Stücke von Jake Heggie oder David T. Little werden immer wieder ausprobiert, vielleicht, weil hier in der Regel profundes Storytelling auf fühlbar moderne, aber auf der Tradition aufsetzende, von der Konsumierbarkeit her gedachte Musik trifft.
In diesem Kontext ist die europäische Erstaufführung von William Bolcoms 1993 uraufgeführter Oper „McTeague – Gier nach Gold“ durchaus etwas Besonderes. Die geschlossenen Formen, vor allem die Ensembles klingen zwar wie in der heutigen amerikanischen Oper üblich: Man ahnt in jedem Moment die Bezugsgrößen „Porgy and Bess“, „West Side Story“ und Kurt Weill in his later years und das ganze wird aufgepeppt durch punktuell gesetzte Dissonanzen und wirkungsstark ausgestellte exotische Instrumentierungsfinessen. Bolcom bietet in diesem Punkt deutlich mehr. Neben wirklich tollen Einfällen wie dem hinreißenden „Nevada“-Duett oder den „McTeague!“-Rufen des Männerchores rührt der Komponist immer wieder eine überraschend dezente Klangmasse an. Diese dient als rhythmisch strukturiertes Fundament, über das gleichsam in Schichten Soloinstrumente oder Instrumentengruppen gebreitet werden, was zu wirklich eigenwilliger Klanglichkeit führt, die allerdings nie wirklich dramaturgisch produktiv wird.
Das Spannendste ist, und das sagt sich ja von Opern recht selten, die Story. Die Titelfigur hat sich lange erfolglos in den Goldminen versucht, macht dann in der Stadt eine Zahnarztpraxis auf – und hat Erfolg. Aber er lebt in einer Gesellschaft, die das Gold zum Götzen gemacht hat und Reichtum über jede soziale Bindung und zwischenmenschliche Beziehung stellt. Das fällt McTeague erst nach und nach auf. Trina sieht vor allem sein wirtschaftliches Potenzial in ihm. Als sie während der Hochzeitsfeier erfährt, dass sie ein Vermögen in der Lotterie gewonnen hat, dreht sie durch, und Schouler, ihr Ex-Freund, schwört McTeague Rache wegen des entgangenen Vermögens und bringt ihn um die Arztpraxis. Mittellos geworden versucht er es mit Arbeit, während Trina ängstlich ihr Geld hütet. In dem Moment, wo sie einen Rest Humanität in sich entdeckt, kann McTeague die Demütigungen nicht mehr aushalten und bringt sie um. Schouler folgt ihm und dem Geld in die Wüste. Sie bringen sich gegenseitig um.
Erich von Stroheim hat aus derselben Vorlage, einem Roman von Frank Norris, einen Stummfilm gemacht, ein mythisches Meisterwerk, das zehn Stunden dauern sollte und vom Hollywood-Studio auf zwei Stunden geschreddert wurde. Das meiste Material ist verloren. Ein anderer Meister des amerikanischen Films, Robert Altman, hat das Libretto für Bolcoms Oper geschrieben, sehr klar und zuspitzend im eindringlichen und sehr exklusiven Umgang mit dem Thema der alles zerstörenden Gier, ein wenig weitschweifig im Detail. Dieser Eindruck verstärkt sich dadurch, dass es in Bolcoms Komposition einige Durststrecken gibt, wo ihm gerade zur Führung der Gesangsstimmen nicht rasend viel eingefallen ist. Was wiederum in Bremerhaven auch dadurch auffällt, dass GMD Marc Niemann zwar Bolcoms Klangwelt in ihrer ganzen Breite aufschließt, aber gelegentlich zu schnell die Regler hochzieht, so dass er sein hochengagiertes Ensemble zu häufig ins Forcieren treibt.
Das Hauptproblem ist jedoch, dass Matthias Oldag den offensiven Symbolismus von Stoff und Oper zwar immer wieder andeutend aufnimmt, ihn aber letztlich viel zu sehr mit historisierenden Klein-Klein-Realismus-Arrangements überzieht. Wenn er das Spiel einfach mal zur Pose gerinnen lässt und diese dann überspitzend wieder auflöst, wird es umgehend spannend. Insgesamt erstickt aber vieles in den Textilmengen zur Nachvollziehung der vorletzten Jahrhundertwende, sogar die Tatsache, dass Oldag die Titelfigur durch ihr Kostüm aus der Geldgier-Gesellschaft herauszulösen versucht. Er lässt McTeague Jeans tragen.
Dennoch ist auf jeden Fall ein positives Fazit zu ziehen. Weil das Wagnis zählt, dieses ungewöhnliche Werk nach Bremerhaven zu bringen – bei geschickten Strichen und einer radikaleren szenischen Herangehensweise würde sich ein Nachspiel sicher lohnen. Weil die Aufführung lebt, Chor und Orchester eine Qualität zeigen, die man in einer so kleinen Stadt nur bedingt vermutet. Was auch für weite Teile des extrem engagierten und spiellustigen Solistenensembles gilt, aus dem zwei Sänger deutlich herausragen: James Allen Smith mit nimmermüdem Tenor als McTeague und vor allem Patrizia Häusermann als verrückte Maria. Wie sie mit dieser Musik spielt, und zwar mit dem ganzen Körper, will man gesehen haben.