Foto: "Funny Girl" am Staatstheater Nürnberg. Dariusz Siedlik (Keenie), Katharine Mehrling (Fanny Brice) und Marc Seitz (Eddie) © Jutta Missbach
Text:Dieter Stoll, am 4. November 2013
Versenkbare Möbel, hängende Wende-Kulissen, rollende Revuetreppe – alles bereit für den flotten Szenenwechsel dieser Drei-Städte-Show, die zwischen Dortmund und Chemnitz nun in Nürnberg angekommen ist. Nur einen eckigen PKW-Oldtimer stellte Bühnenbildner Harald B. Thor kompakt auf die Bühne, als ob er zwischen zwei schwarzweißen Gangsterfilmen der 1920er-Jahre dort zur Zwischennutzung geparkt worden sein. Symbol für Nostalgie und Mobilität, denn ein Taxi-Schild verweist darauf, dass man sich vorwärts bewegt in der Story vom penetrant selbstbewussten „hässlichen Entlein“ namens Fanny Brice, dem unter der Girlie-Truppenbetreuung des berühmten Varieté-Moguls Florenz Ziegfeld jr. die große Karriere und der private Absturz bevorstehen. Knapp hundert Jahre ist die „wahre Geschichte“ alt, die Isabel Lennart vor 50 Jahren dem damals sehr erfolgreichen Komponisten Jule Styne in gefälligen Musical-Librettohäppchen zuarbeitete, Barbra Streisand startete damit (und in der schnell folgenden Verfilmung) in den Superstar-Kosmos. Etwa 40 Jahre liegt die Deutschland-Premiere in Essen zurück, der man eine gewisse Veroperettisierung mit sehr überschaubarem Erfolg nachsagen durfte, und seit dem letzten Versuch hierzulande sind schon wieder 17 Spielzeiten vergangen. Manche Dramaturgen würden da bereits erregt von Ausgrabung sprechen. Die Frage ist, ob wirklich ein Schatz zu finden war.
Tatsächlich brauchte es drei Theater der gehobenen Mittelklasse und die ungestillte Broadway-Sehnsucht derer Intendanten, um das zumindest in der Titelpartie und bei den Showblocks außergewöhnlich anspruchsvolle Projekt wieder mal zu stemmen. In Nürnbergs Opernhaus (das den Dortmundern im Austausch ihre hausgemachte „Csardasfürstin“ auslieferte) fährt „Funny Girl“ auf einer Spielplan-Schiene, die mit „Silk Stockings“, „Sweet Charity“ und „My Fair Lady“ die Richtung klar vorgegeben hat. Mit der literarischen Qualität dieser Vorgänger-Stücke, mit ihrem Dialog-Esprit kann der von keinerlei Interpreten-Ehrgeiz bedrängte Regisseur Stefan Huber allerdings nicht wuchern, denn die Stationen-Dramatik um die patente Fanny zwischen Bühnenrausch und privater Ernüchterung ist überdeutlich und humoristisch sehr bodenständig auf praktikable Highlight-Haltestellen hingelenkt. Die Inszenierung regelt also den Verkehr. Überwiegend unfallfrei.
Wunderbar an dieser Aufführung ist fast alles, was Katharine Mehrling macht. Ihr „Funny Girl“ ist schnodderschnäuziger Straßenköter und klammheimliches Seelchen in Personalunion, beherrscht (in der Revue) alle quirligen Gefühle und ist ihnen (im Leben) wehrlos bis zum trockenen Schluchzer ausgeliefert. Vor allem aber hat sie Songs wie den Welt-Hit „People“ traumhaft stilsicher drauf. Wer die Wahl-Berlinerin als „Irma la Douce“, in „Cabaret“ oder zuletzt im „Ball im Savoy“ sah, hat ihr das sowieso zugetraut. Nun gehört sie unwiderruflich zur Spitzengruppe deutscher Musical-Stars und wurde entsprechend gefeiert. Was in der Nürnberger Koproduktion, die in den vielen kleineren Partien mit eigenem Ensemble auffüllt (am besten: Richard Kindley, im letzten „Ring“ noch Siegfrieds Ziehvater Mime und jetzt der für Beinfreiheit zuständige Mr. Ziegfeld), zu unberechenbarer Fallhöhe führt. Am deutlichsten freilich bei der männlichen Hauptrolle, obwohl sie mit dem zweiten „Gast-Star“ besetzt war. Der zwielichtige Charmeur Nick Arnstein, ein Spieler und Betrüger, ist beim „In aller Freundschaft“-Seriendoktor Bernhard Bettermann nicht nur im brummelnden Gesang auf verlorenem Posten, denn der TV-Schauspieler trägt mühsamer an seinen Pointen als am Smoking und mag vor lauter treuherzigem Großaufnahme-Blick den maroden Charakter einfach nicht schillern lassen. Ehe er verschwindet, schreit er wenigstens ein bisschen.
Für die Show, die hier immer auch gleichzeitig wie die Parodie einer Show wirkt, hat Choreograph Danny Costello alles im Griff, schickt die Compagnie ganz nach dem Branchen-Musterbuch ins Rennen. Dirigent Jürgen Grimm rang der anfangs arg fremdelnd holpernden Staatsphilharmonie Nürnberg (die von der reisenden Musical-Claque dennoch schon zur Ouvertüre quiekende Zustimmung bekam) nach und nach mehr vom swingend ins Aufgedonnerte strebenden Sirup-Sound von Jule Stynes Original ab. Wenn Fanny von der Zartbitter-Glacur der Schnulze genascht hat und der Liebe entsagend ganz zum „Leben auf der Bühne“ und dem vorgelagerten Sitzplatz hinter dem Schminkspiegel zurückgekehrt ist, kann sie schließlich mit ausgestreckten Armen durchs Spalier der Akteure in den Jubel schreiten. Sozusagen parallel in Drama und Echtzeit. Ja, da hatten wir damals bei „Hello, Dolly“ auch schon Andeutungen von Gänsehaut-Kribbeln. Dass „Funny Girl“ in Nürnberg (und im Frühjahr 2014 in Chemnitz) auf ihren Oldtimer-Ehrenrunden volle Häuser bringt, ist fast so sicher wie ihr erneutes Verschwinden aus dem Repertoire. Der starke Song „People“ bleibt ein Evergreen, das schwache Stück insgesamt wird es wohl nie.