Foto: Folklore, große Gesten und gehobene Gläser - aber Vorsicht: Asim (Xu Chang) vergiftet das Glas, das für Abai bestimmt ist. © Das Meininger Theater
Text:Susann Winkel, am 24. September 2012
Meiningen – Almaty. Eine Verbindung, die zunächst wenig wahrscheinlich klingt. Tatsächlich aber knüpfen die kasachische Millionenstadt unweit der Grenze zu Kirgisistan und das Theaterstädtchen im Süden Thüringens seit einiger Zeit emsig künstlerische Bande miteinander. Ihren Anfang nahm die ungewöhnliche Liaison im Dezember 2010, als Ansgar Haag seinen Meininger „Tannhäuser“ als kasachische Erstaufführung an der Staatsoper Almaty inszenierte. Nun wechselte der Kulturaustausch die Richtung. „Abai“, jenes 1944 von Achmet Schubanow und Latif Hamidi verfasste Werk, dem in Kasachstan der Status einer Nationaloper zukommt, eröffnete als deutsche Erstaufführung die Spielzeit am Südthüringischen Staatstheater. Abermals in der Regie von Haag, während mit dem früheren Meininger GMD Alan Buribayev kein geringerer als der Urenkel Schubanows am Pult steht.
So erstaunlich die Vorzeichen der Inszenierung sind, so schlicht stellt sich ihre Handlung dar. Im Zentrum steht eine klassische Romeo-und-Julia-Geschichte. Der ungestüme Poet und Filmemacher Ajdár (Rodrigo Porras Garulo) und die junge Witwe Azar (Camila Ribero-Souza) dürfen sich ob der sie trennenden Religionen nicht lieben, die alten Gesetze des Steppenvolkes verbieten es. Als das Paar bei einer Filmvorführung entdeckt wird, ist die Schlinge auch schon um den Hals Ajdárs gelegt. Einhalt gebieten kann nur noch der berühmte Aufklärer und Dichter Abai (Dae-Hee Shin), der große Anerkennung im kasachischen Volk genießt. Seinen Worten gelingt es, die Hinrichtung abzuwenden. Doch die reformerischen Ideale Abais sind den konservativen Kräften im Land, angeführt vom bärtigen Zirensché (Stephanos Tsirakoglou), ein Dorn im Auge. Sie beschließen einen Giftkomplott, dem am Ende durch einen Zufall nicht der Altmeister, sondern sein Schüler Ajdár erliegt.
Die ursprünglich um 1870 angesiedelte Handlung verlagert Ansgar Haag um acht Jahrzehnte nach vorne in die 1950er Jahre. Zentraler Ort ist ein Kulturpalast, der mal als Kino, mal als Gericht dient, dann in der nächsten Szene eine Hochzeitsgesellschaft beherbergt. Gerade letztere bietet Gelegenheit für reichlich Folklore, große Gesten und gehobene Gläser. Dabei sind Themen wie Widerstreit der Religionen und rigide Sexualmoral ja durchaus aktuell – auch wenn diese kasachische Variante von „Romeo und Julia“ arg betulich daherkommt und der sozialistische Realismus unverdrossen zukunftsfroh die Wände in der Richterstube schmückt. Doch in Meiningen spürt man als Zuschauer eine befremdliche Distanz – auch weil die deutsche Übersetzung von Alwina Meissner und Igor Beketov mit ihren auf Gedeih und Verderb gereimten Endsilben eine unfreiwillige Komik in das Stück einbringt. Die sogar noch unnötigerweise in der Übertitelung mitlesbar ist, obgleich das internationale Ensemble des Hauses seine mit viel Pathos versehenen Partien ausgesprochen wortverständlich singt.
Trotz jener Musik aus einer lang vergangenen Zeit, trotz der langen Zöpfe, die buchstäblich immer noch nicht abgeschnitten sind: mit der deutschen Erstaufführung von „Abai“ ist dem Meininger Theater die Brücke vom Westen in den Osten gelungen sein. Ein inhaltlich origineller, künstlerisch aber eher artiger Auftakt.