Foto: WG-Leben im Auerhaus. © Thomas Rausch
Text:Ulrike Kolter, am 6. Januar 2017
Ja, es werden so einige bewährte Klischees der frühen 80-iger in dem Roman „Auerhaus“ von Bov Bjerg dargestellt: die erste große Freiheit im WG-Alltag, der gelebte Baader-Meinhof-Kult, die fixe Idee von der Flucht vor Musterung und Wehrdienst nach Berlin. Und natürlich erinnert der Ausbruch zweier (Außenseiter-)Freunde aus ihrem tristen Alltag hinein ins wilde Leben an den Jugendroman „Tschick“, dessen Theaterfassung von Robert Koall bereits ein Jahr nach Veröffentlichung zu den meistgespielten Jugendstücken deutschsprachiger Bühnen gehörte. Nun spekuliert man zur Uraufführung am Düsseldorfer Schauspielhaus im Foyer in allen Ecken, ob und wie bald „Auerhaus“, ebenfalls eine Dramatisierung von Robert Koall, dieses Erbe antreten wird. Immerhin stehen noch in dieser Spielzeit Neuinszenierungen in Wiesbaden, Augsburg, Hannover, Dresden, Darmstadt und Berlin an. Kann der Text diesen Erwartungen gerecht werden?
Da ist zunächst Höppner (Kilian Land), der Ich-Erzähler kurz vorm Abitur, der die Geschichte seines suizidalen Oberstufen-Freundes Frieder (Alexej Lochmann) erzählt. Nicht chronologisch, sondern beginnend mit dieser skurrilen Episode, als Frieder Heiligabend den Weihnachtsbaum des Dorfplatzes fällt. Stromausfall überall, und große Belustigung im „Auerhaus“. Weil Frieder nach einem gescheiterten Suizidversuch und langem Psychiatrie-Aufenthalt nicht wieder zu den Eltern ziehen soll, gründet er mit Höppner, dessen Freundin Vera (Hanna Werth) und der strebsamen Cäcilia (Adrienne Lejko) eine WG im „Auerhaus“, Namensgebung angelehnt an den Madness-Song „Our house“, der ständig aus einem alten Kassettenrekorder auf dem Küchentisch dröhnt. Später ziehen noch Frieders Psychiatrie-Freundin, die Brandstifterin Pauline (Rebecca Seidel), sowie der schwule Hasch-Dealer Harry (André Kaczmarczyk) mit ein. Man redet, kocht, raucht, feiert und verfeinert mit Frieders Hilfe die Technik des Lebensmittel-Klauens, um den WG-Kühlschrank zu füllen. Vor allem aber ist das erklärte Ziel der Freunde, Frieder von einem neuen Selbstmord-Versuch abzuhalten. Nicht ganz uneigennützig, denn jeder der Abiturienten hat andere gute Gründe, von daheim auszuziehen.
Maximilian Lindner hat den sechs Freunden einen alten Golf auf die kleine Bühne des Central gestellt, dazu der WG-Tisch, einige Lampen und jede Menge Laub auf dem Boden, was im Winter zwar wenig Sinn macht, aber gut zu bespielen ist und ein treffliches Bild für die allgegenwärtige Vergänglichkeit abgibt. „Birth – School – Work – Death“, singt man das drohende Lebensmuster wie ein Mantra im Dauernebel der Bühne, aber so richtig zum Kern führt das alles kaum. Auch nicht, wie in dieser Partystimmung immer wieder Frieders Grundzweifel an der Sinnhaftigkeit des Großen Ganzen anklingen.
Robert Koalls Theaterfassung von „Auerhaus“ ist klug verdichtet, verteilt den Erzählerpart auf alle Beteiligten, schiebt Episoden ineinander und kürzt damit den ohnehin knappen Roman, der knapp ist in der Sprache wie der Erkenntnis. Kaum ein Satz hat mehr als ein Dutzend Wörter. „Egal“ oder „Nicht egal“ sind die Lieblingskommentare Höppners. Und genau so knackig setzt der junge Regisseur Robert Gerloff das Stück in Szene, mit gut getimten Licht- und Musikwechseln, die die einzelnen Episoden aneinanderreihen. Kilian Land als jugendlich naiver Höppner deklamiert vortrefflich den Großteil des Textes ins Publikum, der Frieder von Alexej Lochmann zeigt die krassen Brüche seiner Figur, zwischen Psychopharmaka-gedopter Euphorie zu Silvester (mit beeindruckender Breakdance-Einlage trotz Körperfülle) und der zweifelnden Einsamkeit eines Depressiven, der es jederzeit wieder tun würde. Vor allem aber ist der Harry des André Kaczmarczyk die Entdeckung des Abends: Grandios, wie er mit wenigen Gesten abwechselnd die übrigen Romanfiguren ausfüllt, vom buckligen Nachbarn der WG über den verhassten Lehrer „Turnschuh“ bis hin zum albernen Dorf-Polizisten.
Es gibt viele gelungene Szenen, etwa wenn alle sechs mit Pistolenattrappe im Golf sitzen zur Verfolgungsjagd mit einem Dorfpolizisten, oder wenn Höppner mit Frieder allein auf dem Autodach sitzt, den entscheidenden Augenblick vorm Selbstmord durchdekliniert, und beim Öffnen der stets präsenten Flasche Imiglykos-Wein zur Verwunderung beider wieder der Song „Our house“ ertönt. Aber der Flaschengeist der heilen WG-Welt ist zur Flüchtigkeit verdammt, so wie das gemeinsame WG-Jahr der Freunde bis zum Abi.
Frieder packt es nicht, das Leben. Die letzten Male, in denen er und Höppner sich treffen in dessen Berliner Zimmer, Monate nach dem vergeigten Abi, inszeniert Gerloff angenehm unspektakulär. Frieder legt sich einfach ins Laub, dreht sich um, ganz müde. Zu seiner Beerdigung spielt Cecilia leise Keyboard im Hintergrund, Vera und Harry sind sichtlich mitgenommen. Heikel ist das, und doch gelingt die Gratwanderung bei der Uraufführung, was vor allem dem hervorragenden Ensemble zu danken ist. Und dem Kerngedanken von „Auerhaus“, jenseits aller Klischees: Sie ist nunmal so beschissen entscheidend und vergänglich, diese Lebensphase der Selbstfindung 18-Jähriger.