Foto: Hörspielpremiere mit Sophie von Kessel, Yodit Tarikwa, Max Rothbart, Delschad Numan Khorschid, Valentino Dalle Mura, Evelyne Gugolz, Lisa Stiegler, Oliver Stokowski, Schorsch Kamerun und Massiamy Diaby. © Residenztheater München
Text:Klaus Kalchschmid, am 22. Mai 2020
M ist diesmal nicht der von Peter Lorre so abgründig wie verletzlich gespielte Kindermörder in Fritz Langs und Thea von Harbous berühmtem Film von 1931, dem nach wilder Verfolgungsjagd am Ende der Prozess gemacht wird. Er wird vor dem Mob gerettet, der seinen Tod fordert, noch bevor er am Ende der Polizei übergeben wird und die tatsächliche Gerichtsverhandlung beginnt. Deren Ausgang offenbleibt. M steht diesmal für München, während in der Aufzählung der Sprecher am Ende dieses Hörspiels Langs Mörder als „Unterwelt- und Selberschrecken“ fungiert. Viele Dialog-Partikel und Szenenbeschreibungen stammen wörtlich aus dem Film, aber allein der Wechsel von männlich sichtbaren zu oft weiblich unsichtbar abstrakten Sprechern und der fehlende Zusammenhang lassen diese Schnipsel im Ungefähren schweben, auch den Abzählreim „Warte nur ein Weilchen, dann kommt der schwarze Mann zu dir und macht mit dem Hackebeilchen Schabefleisch aus dir.“ Das im Film so wichtige Leitmotiv, wenn M immer wieder grell den prägnanten Beginn von „In der Halle des Bergkönigs“ pfeift, was ihn schließlich überführt, wird im Hörspiel lediglich benannt als „die ersten Takte eines Motivs von Edvard Grieg, unmelodisch“.
Immer wieder fragt man sich beim Hören dieser 54 Minuten – über die BR Kulturbühne – von Schorsch Kamerun (Regie, Texte, Produktion und Musik) und Cathy van Eck (Soundscapes): Was wäre diese Eröffnung der hauptsächlich auf den Sommer 2021 verschobenen Münchner Biennale für neues Musiktheater geworden, hätte sie wie geplant als „Konzertinstallation“ im Theater am Marstallplatz und auf dem großen Platz davor stattgefunden? Und nicht als Teil Eins einer „dreischichtigen Premiere“? Nun scheint es unausweichlich, dass der Text von Fragen im Zusammenhang mit Covid-19 überschrieben wird. So ist die Furcht vor dem namenlosen Kindermörder im Film, den ein M aus Kreide auf seinem Rücken erst verfolgbar macht, heute nicht zuletzt eine vor dem großen, bösen C, das alle in Atem hält, denn: „Wie kann eine Stadt digital am Leben erhalten werden, wenn ihre soziale Infrastruktur kollektiv erkrankt ist.“ Dann ist die Rede von vierzehntägiger und siebentägiger Quarantäne, von mehrfarbigen Sicherheitscodes und Sozialdistanz, aber es heißt auch: „Viren und Bakterien wollen uns an den Kragen.“
Wo im Film Arbeitslosigkeit und Armut den Hintergrund bilden, eine mafiöse Unterwelt gegen die Ordnungsmacht Polizei agiert und am Ende die drohende Selbstjustiz einer ganzen Stadt gegen einen psychisch kranken Mörder thematisiert wird, mäandert das Hörspiel zwischen den Stimmen der Sprechenden und banal Singenden ohne erkennbare Fokussierung hin und her, Furcht, Angst und Schrecken immer wieder diffus umkreisend. Lediglich ein Flüchtling oder der Moderator einer Videoschalte des täglichen Sicherheits- und Krisenmanagements sind identifizierbar. Erst in der Abmoderation werden den Ensemblemitgliedern des Residenztheaters Funktionen und Berufe zugeordnet, während des Hörens schlägt der Verstand zwar Schneisen durch den akustischen Dschungel und versucht, sich aus Film-Zitaten und aktuellen Überschreibungen des Handlungsschemas ein neues Netz zu knüpfen, doch das enthält mehr Löcher, als dass es neue Erkenntnisse transportiert. Hoffentlich gestalten sich Teil Zwei und Drei des Triptychons konkreter, spannender und (musik-)theatraler.