Die Oberhausener „Pest“ wirkt zunächst im strengen Sinne unfilmisch, weil sie keinerlei Räume etabliert, den Blick nicht weitet. Immer wieder zeigt die Kamera geschlossene Tore und Türen, blinde Fenster, zugemauerte Nischen. Der Blick läuft quasi vor die Wand einer urbanen Hölle. Symbol für Abschottung und Quarantäne, im wörtlichen wie übertragenen Sinn. Auf diese verschlossenen Öffnungen allerdings projizieren Zander und sein Team Köpfe und Körper der Darstellerinnen und Darsteller. Zunächst die Bürger der Stadt Oberhausen, die das Theater zur Mitwirkung aufgerufen hatte und die klein portionierte Erzähltexte in die Kamera sprechen. Aber auch die Profis des Oberhausener Ensembles, die die Romanfiguren verkörpern. So entsteht ein ständiger Wechsel dieser zivilgesellschaftlichen „talking heads“ und der professionellen „talkings heads“, die erzählend oder dialogisierend die Handlung vorantreiben. Handeln wird allerdings nicht gezeigt, sondern nur das Sprechen. Dieser permanente Sprachoutput hat mitunter in seiner Monotonie fast die Qualität Bernhardscher Überlebenskunst: Wer redet, ist noch nicht tot.
Strukturiert wird dieser Reigen an talking heads von Zwischentiteln, die Begriffe wie „Ratten“ oder „Tod“, aber auch den Namen der Figuren tragen. Die Musik malt dazu mit absteigenden Klavierakkorden und mollgetränkten elektronischen Sounds eine düstere, vielleicht sogar unheimliche Atmosphäre. Denn die Projektion dieser Köpfe und Körper deutet durchaus auch ins Fiktionale, vielleicht Phantastische dieser Erzählung. So ‚erscheint‘ die Concierge (Anna Polke), die die ersten toten Ratten entdeckt, nur als Schemen auf einer schäbigen Haustür, genauso wie später Rieux‘ Freund Tarrou (Mervan Ürkmez) oder Pater Paneloux (Elisabeth Hoppe). Am symbolträchtigsten wirkt diese Verfahren bei Rieux‘ Frau (Sina Martens), die zunächst als Kranke im Bett gezeigt wird, dann als Fata Morgana hinter einem Vorhang aus Trauerweiden – all diese Figuren werden im Verlauf des Romans auf die ein oder andere Weise sterben. Das Verfahren umfasst zum Teil aber auch die (Über-)Lebenden wie den schriftstellerisch dilettierenden Grand (Klaus Zwick) oder den Arzt Castel (Lise Wolle). Es bleibt unklar, ob damit Rieux‘ (Kamera-)Blick gemeint ist, dem all diese Figuren als unwirklich erscheinen; oder ob damit Camus‘ allegorischer Roman selbst gemeint ist. Rieux‘ pathetisches Standhalten in einem aufgeklärten Skeptizismus ist bei Zander mit dunkelblauer Gegenwartsmelancholie eingefärbt. Am greifbarsten wird das in Emilia Reichenbachs weiblichem Rieux, der durch Stadt und Wälder streift und am Ende des ersten Teils ein vernichtendes Urteil fällt: „Dummheit ist immer beharrlich. Das merkte man, wenn man nicht immer mit sich selbst beschäftigt wäre. In dieser Hinsicht waren die Menschen in unserer Stadt wie alle, sie dachten nur an sich.“