Das „Faust“-Ensemble

Der Faust in uns

Johann Wolfang von Goethe und Felix Krakau: Faust 1+2+3

Theater:Düsseldorfer Schauspielhaus, Premiere:15.09.2024 (UA)Regie:Felix Krakau

Das Junge Schauspiel am Düsseldorfer Schauspielhaus eröffnet die Spielzeit mit und über Goethes „Faust“. Felix Krakau spürt gerade in der Distanzierung zum Klassikertext dessen Kraft für die Welt von heute auf.

Schon vor Stückbeginn zeigen bei einer kleinen Performance im Foyer die Spielerinnen und Spieler der Theater AG des Bischöflichen St.-Josef-Gymnasiums Bocholt dramaturgisch und darstellerisch gelungen, worum es in den folgenden anderthalb Stunden gehen wird: Um Menschen, Jugendliche und einen mit sich und der Welt unzufriedenen Mann, alle fühlen sich gemeinsam „lost“.

Der ganze „Faust“ auf kleiner Bühne

Und auch im Saal beginnt das Spiel dann mit synchronem, chorischem Sprechen. Hannah Joe Huberty und Leon Schamlott sind die beiden aufgekratzten, etwas altmodisch gekleideten Theaterdirektor:innen. Sie versprechen „das Stück der Stücke“, deuten in ihrem aufgesetzt unerbittlichen Willen zum Entertainment allerdings an, dass der Stoff ermüdend sein könnte. Die zwei dem „Vorspiel auf dem Theater“ entlehnten Figuren rahmen in „Faust 1+2+3“ das gesamte Spiel. Auch die Wette zwischen Mephisto und dem Herren – bei Goethe ist dies der große Rahmen – wird zum Teil dieses Spiels. Die zwei drehen die runde Spielplattform, schließen und öffnen den blauen Vorhang davor und greifen in der Folge zuweilen ins Spiel ein.

Selbst die drei Protagonist:innen, Faust (Felix Werner-Tutschku), Mephisto (Natalie Hanslik) und Gretchen (Ayla Pechtl) sind hier Erzähler:innen ihrer eigenen Geschichte. Gretchen warnt: „Achtung, Monolog“, bevor (der schon zu Beginn jugendlich wirkende) Faust ansetzt zu „Habe nun, ach“ und wenig später schon eröffnet „Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust“.

Regisseur und Textbearbeiter Felix Krakau und dem fünfköpfigen Ensemble gelingt es durch die konsequente Rahmung des Dramas nicht nur, die beiden Teile von Goethes Großwerk überschaubar und kompakt zu überliefern. Der ausufernde, fast unspielbare „Faust II“ wird kurz vor dem Ende im chorischen Bericht auf wenige  Minuten verkürzt komisch und doch genau zusammengefasst. Schon im ersten Teil gelingt das Kunststück, den Klassiker zugleich auf Distanz zu halten wie in entscheidenden Szenen, etwas der Gretchenfrage um Fausts Glauben, nahbar und lebendig zu machen.

Distanz schafft Raum für Intensität

Der performative Rahmen, in den nicht nur Mephisto in Kooperation mit den beiden Theaterdirektor:innen einbezogen ist, sondern auch das zentrale Paar Gretchen und Faust, schafft Freiheit für ein inniges Spiel um eine Liebe, die schnell wächst und im Desaster endet. Gretchens Mutter ist aus Versehen getötet, ihr Bruder vom Geliebten ermordet, das gemeinsame Kind aus Verzweiflung getötet. All das ist auf die Schnelle erzählt. Und es hinterlässt doch Spuren, der distanzierende Rahmen eröffnet Freiheit für ergreifende Szenen: Wie sich das Paar trifft, Faust sich ungelenk einführt („Darf ich wagen, meinen Arm und Geleit ihr anzutragen“), wie Gretchen sich entschließt, das Abenteuer Liebe zu wagen und wie sie ihn schließlich, ganz bei Verstand, abweist, als er – nach einer „Auszeit“ bei der Walpurgisnacht – sie aus dem Gefängnis befreien will und sogar von einem Neuanfang träumt. Gretchen ist auch hier das Opfer der erzählten Geschichte, doch behält sie stets ihre Würde, ist dem Ex-Partner Faust nie unterlegen.

Die klare Bühne von Marie Gimpel und ihre das historische Drama zitierenden Kostüme sowie die Musik von Timo Hein unterstützen das starke Ensemble, aus dem Ayla Pechtl und Felix Werner-Tutschku als Hauptfiguren herausragen. „Faust“ wird in dieser grandiosen, klug eingerichteten und unterhaltsamen Inszenierung zum Spiel um die großen Fragen nach dem Ich in der Welt.

Der Tragödie dritter Teil

Der knappe zweite Teil dient denn auch nicht nur zum Abfeiern von Bildungsgut, sondern zur Vorbereitung auf den, großspurig als Höhepunkt angekündigten, dritten Teil. Die Direktion des Abends will die mehr oder minder erfolgreiche Serie mit aller Gewalt fortsetzen. Nachdem schon Helena im Teil zwei Gretchen stark ähnelte, hören wir Ähnliches nun von Artemis im Weltraum des Jahres 4024, in dem Fausts Seele umherirrt.

Doch das Spiel der zu fünft versammelten Spielerinnen und Spieler stockt, der Improvisation des ambitionierten Projekts fehlen Plan und Ideen, bis die verkrampfte Entertainerin Hannah Joe Huberty als letzte einräumen muss, dass sie sich übernommen habe. Un-Faustisch arrangiert sich der Chor nun mit dem Scheitern, nicht zu wissen, was „die Welt im Innersten zusammenhält“, wie das rechte Leben geht – und wagt doch eine neue Wette, es noch einmal zu versuchen miteinander und mit der Welt. In der ironischen und zugleich intensiven und ernsthaften Auseinandersetzung mit der Vorlage gelingt diesem „Faust“ (nicht nur) für Jugendliche ein starkes Stück Gegenwartstheater.

Wir haben jüngst zwei weitere „Faust-Inszenierungen besprochen: Am Staatsschauspiel Dresden und am Wolfgang Borchert Theater Münster.