Foto: Bogdan Baciu (Hérode), Luke Stoker (Phanuel), Ramona Zaharia (Hérodiade), Chor der Deutschen Oper am Rhein © Hans Jörg Michel
Text:Ulrike Kolter, am 28. Mai 2023
In Düsseldorf hatte Jule Massenets französische Oper „Hérodiade“ Premiere. Ein Werk über Macht und Liebe zwischen Jerusalems Herrschern, mit riesigen Chören und phantasischen Kostümen aus der Belle Époque. Doch bei aller Reizüberflutung verrennt sich Lorenzo Fioronis Inszenierung in Doppeldeutigkeiten.
Es lebe die große französische Oper, denkt man nach dieser opulenten „Hérodiade“-Premiere, es lebe Jule Massenet mit seinem ausufernden Eklektizismus! Was sich der französische Komponist, von dem an hiesigen Bühnen vor allem sein „Werther“, „Manon“ oder „Cendrillon“ gespielt werden, Ende des 19. Jahrhunderts als Kompositionsprinzip einverleibte, ist ein wirkungsmächtiger Stilmix aus historischen Andeutungen und musikalischer Formenvielfalt.
Opulenz auf allen Ebenen
Auch das Libretto von Paul Milliet und Henri Grémont begnügt sich nicht mit der literarischen Vorlage von Gustave Flauberts Erzählung „Hérodias“ über den Tetrarchen von Judäa. Ausgebaut wird bei Massenet die biblische Figur der Salome und ihr heftiges Entflammen zu Johannes dem Täufer, den sie bei Oscar Wilde und in Richard Strauss’ gleichnamiger Oper bekanntlich hasserfüllt köpfen lässt, den sie hier jedoch tatsächlich liebt, was auszuleben der Tod beider verhindern wird. Zum biblischen Plot kommen politische Nebengeschichten zwischen Römern, Galiläern und Juden, riesige Chöre und Ballettmusiken, dazu die spätromantische Wucht des Orchesters. Solch ein Spektakel sollte die aufstrebende Bourgeoise im Paris des 19. Jahrhunderts unterhalten, exorbitante Kostüme und Bühnenbilder waren dabei Pflicht.
Zu viel des Guten?
Anderthalb Jahrhunderte später pilgert das Düsseldorfer Publikum in die Deutsche Oper am Rhein, will nicht minder unterhalten werden, lernt aber in Lorenzo Fioronis Inszenierung: Zu viel des Guten ist manchmal schlicht zu viel des Guten. Figuren und Interpretationsebenen zu kumulieren, bietet Assoziationsmöglichkeiten, hilft in diesem Fall aber weder dem Verständnis noch verstärkt es die Kraft der von Fioroni im Grunde stark gearbeiteten Charakterstudien. Die von ihm angelegte Verdopplung des Paaares Hérodiade und Hérode mit stummen Doubles verliert sich in szenischen Redundanzen auf einer ohnehin vor Menschen – Soli, Chor, Statisterie – überquellenden Bühne.
Als Prélude des Abends setzt Fioroni die Filmeinspielung eines durch Paris spazierenden Bourgeois (Andreas Bittl als Double von Hérode) in Anzug und Zylinder, dem wir durch Bistros, rauf zu Montmartre und rein in die Opéra Garnier folgen. Hier nimmt er mit seiner Frau Platz in einer Loge, die später im realen Bühnenraum immer wieder auftauchen wird – als Ort für Beobachtungen, als Theater im Theater-Arrangement. Es folgt eine Zeitreise in vier Akten, in der auch die Bühne von Paul Zoller und die opulenten Kostüme von Katharina Gault durch die Epochen führen: von ausladenden Roben der Belle Époque – eine Pracht und Handwerkskunst der Kostümabteilung! – bis hin zu heutigen Rucksacktouristen mit Kameras und hässlichen Sonnenhüten. Videos (Christian Weissenberger) bereichern die Szenerie, etwa wenn der Astrologe Phanuel mit Fernrohr die Sterne nach der Zukunft des israelischen Volkes befragt und der riesige Bühnenhintergrund zum funkelnden Kosmos wird.
Die Handlung: Zwei Paare zwischen Machtstreben und Liebeswirren
Im Kern der Dreiecksgeschichte steht Hérodiade, Frau des Tetrarchen Hérode, die einst ihre Tochter Salome verlassen hat, um die eigene Macht an der Seite ihres Schwagers zu sichern. Ob dieses Verhaltens wird sie von Jean (Johannes dem Täufer) öffentlich an den Pranger gestellt, was ihn zum Feind degradiert und seine Hinrichtung besiegelt. Salome indes sucht in Judäa die verlorene Mutter, verliebt sich in den Propheten Jean, während der Tetrarch wiederum ein Auge auf die schöne Salome geworfen hat. Es folgen Eifersuchtsszenen und Machtkämpfe, während das Volk zwischen politischer Führung und religiöser Verführung wankelt. Grandios überzeichnet Lorenzo Fioroni die Massenszenen mit schriller Gestik und synchronem Agieren des von Gerhard Michalski einstudierten Chores.
Das die Rheinoper dieses kaum gespielte Werk überwiegend aus dem eigenen Ensemble besetzen kann, unterstreicht das Geschick von Generalintendant Christoph Meyer in Sachen Ensemblekultur: Allen voran drei rumänische Sänger:innen trumpfen vokal auf: Bogdan Baciu als Hérode, Ramona Zaharia als Furie Hérodiade und Luiza Fatyol als Salomé, die zur Premiere allerdings (unfallbedingt) mit Armverband von der Seite singen musste, während Regieassistentin Lotte Zuther als mädchenhaft-naive Zeitgenossin mit Minirock und Rucksack agierte. Sébastien Guèze als Jean fand nach technischen Anlaufschwierigkeiten im Finale zu kraftvollen Spitzentönen; Luke Stoker gab den Seher Phanuel als gebückt-graubärtigen Greis und Jorge Espino den römischen Konsul Vitellius in güldener Rüstung.
Sébastien Rouland, hauptamtlich Generalmusikdirektor des Staatstheaters Saarbrücken, führte die Düsseldorfer Symphoniker – mit glänzend einstudiertem Blech übrigens – genüsslich durch zahlreiche Fortissimo-Passagen, hielt auch den im Zuschauerraum agierenden Chor- und Kinderchor beisammen.
Das Finale ist bühnenästhetisch ein verstörender Coup, in dem Jean auf dem elektrischen Stuhl stirbt – über sich das Herrschpaar im Zellenausguckfenster. Jule Massenets „Hérodiade“ kommt musikalisch nicht an seinen „Werther“ heran, erst recht nicht an Strauss‘ „Salome“, sie bleibt eine Kollage voller Brüche. Vielleicht eignet sie sich gerade deshalb für den anschaulichen Beweis, zu welchem Prunk der Opernapparat imstande ist.