Foto: Szene mit Joaquin Angelucci und Evan L’Hirondelle © Bettina Stöß
Text:Ulrike Kolter, am 27. April 2024
Mit „Surrogate Cities” bringt Demis Volpi seine letzte Uraufführung beim Ballett am Rhein heraus. Zu Heiner Goebbels gleichnamiger Komposition ist ein vor allem musikalisch beeindruckender Abend entstanden. Choreografisch bleiben Fragen offen.
Es war das große Finale für Demis Volpi als Chefchoreograf des Ballett am Rhein. Hier hat der in Argentinien Geborene in den letzten Jahren vor allem mit bildgewaltigen Handlungsballetten eine riesige Fangemeinde ans Haus gebunden – zuletzt mit „Krabat” und einer alle Geschlechterbilder umkehrenden „Giselle“-Neuinterpretation. Nun zum Abschied, ehe Volpi im August die Nachfolge John Neumeier als Intendant des Hamburg Ballett und Leiter des Ballettzentrums Hamburg antritt, sollte für Düsseldorf und Duisburg nochmal etwas ästhetisch ganz Neues, Einzigartiges entstehen. Das ist ihm mit der Uraufführung „Surrogate Cities“ nach der gleichnamigen Komposition von Heiner Goebbels zweifelsohne gelungen, auch wenn man festhalten muss: Das liebevolle Charakterzeichnen liegt Volpi weit mehr als Abstraktion in fast randomisiert wirkenden Parallelszenen.
Die Komposition „Surrogate Cities“
„Surrogate Cities“ ist eine siebenteilige Komposition für Sopran, Solo-Posaune, Samplerspieler und großes Orchester, entstanden 1994 zum zwanzigjährigen Bestehen der Jungen Deutschen Philharmonie und bis heute weltweit aufgeführtes Schlüsselwerke von Heiner Goebbels. Sechs Teile davon spielen die auf der Hinterbühne postierten Düsseldorfer Symphoniker unter der präzisen Leitung von Vitali Alekseenok. Davor reicht die leere Bühne über dem geschlossenen Orchestergraben bis dicht an die erste Reihe heran und schafft so eine selten erlebte Nähe zu den Tänzerinnen und Tänzern (Bühne: Katharina Schlipf).
Es gibt kein Narrativ: Klang und Geräusche beherrschen alles, denn Goebbels will das Urbane akustisch einfangen, Lärm und Stille einer Großstadt. Jazz-Elemente, Streicher-Kratzen, Blech-Dröhnen wechseln mit gesungenen Passagen der Sopranistin Tamara Lukasheva oder Tonbandeinspielungen aus den 30er Jahren. Unfassbar komplex ist diese Komposition, schmerzt in manchen Passagen, changiert dann wieder ins anmutig Melodiöse.
Choreografisches Abbild von Klang
Doch ist dieses Werk wirklich tanzbar? Vor knapp 10 Jahren schon hat die französische Choreografin Mathilde Monnier „Surrogate Cities“ bei der Ruhrtriennale mit gut 130 jungen wie älteren Akteuren der Region in die Kraftzentrale im Landschaftspark Duisburg-Nord gebracht. Das Abbild einer Großstadt wurde hier schon durch die partizipative Umsetzung spürbar. Demis Volpi steht mit dem 45-köpfigen Ballett am Rhein eine Weltklasse-Kompagnie zur Verfügung, die er mit diesem Abend nicht an die Grenzen ihres Potentials führt.
Lose Auf- und Abgänge oder kurze kollektive Posen wirken teils willkürlich und kraftlos. Starke Momente entstehen, wenn Volpi konkrete Szenen entwirft, wie die Pas de deux in den „Drei Horatier Songs“ mit phantastischen Hebungen. Oder wenn flink sich formende Ensembles klassische Schrittfolgen durchexerzieren und synchron ins Extreme überführen. Dabei löst Volpi alle Geschlechterzuschreibungen auf: intime Duette zweier Herren gibt es ebenso wie Tänzerinnen schwarze Anzüge tragen oder Herren wie Damen in knall-lila Leibchen erscheinen (Kostüme: Thomas Lempertz).
Knapp zwei Stunden dauert der artifizielle Szenenreigen, und lässt uns etwas ratlos zurück. Ein letztes Mal feiert das Düsseldorfer Publikum seinen bescheidenen wie sympathischen Ballettchef. In Hamburg tritt er ein großes Erbe an. Als begabter Geschichtenerzähler im Tanz ist er dafür prädestiniert wie kaum ein anderer.