Foto: Gruppenbild mit Dichter: Mirko Roschkowski (Li-Tai-Pe) mit dem Bonner Opernchor © Thilo Beu
Text:Andreas Falentin, am 23. Mai 2022
Das Bonner Opern-Publikum gilt als freundlich. Dass es aber eine Premiere derart ausgelassen feiert, darf als Besonderheit vermerkt werden. Zumal es sich bei „Li-Tai-Pe“ von Clemens von Franckenstein um ein vollkommen unbekanntes Stück handelt.
Wobei der Titelheld mutmaßlich noch bekannter ist als der Komponist: Li-Tai-Pe hat im 8. Jahrhundert gelebt, also in der Tang-Dynastie, und gilt bis heute als einer der größten chinesischen Lyriker. Bei uns wurde er erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein wenig bekannt, etwa durch Übersetzungen von Hans Bethge oder Klabund. Gustav Mahlers „Lied von der Erde“ etwa liegen einige Texte von Li-Tai-Pe in Übertragungen von Bethge zugrunde.
Clemens von Franckenstein (1875-1942) war Komponist, Dirigent und Intendant, von 1912 bis 1918 und von 1924 bis 1934 an den Bayerischen Staatstheatern. Seine vierte Oper gelangte 1920 in Hamburg zur Uraufführung und war bis 1944 fester Bestandteil der deutschen Opernspielpläne, obwohl der Komponist von den Nazis aus dem Amt gejagt wurde und sich gezwungenermaßen ins Privatleben zurückzog.
Ostasien-Mode
Sicherlich war das Sujet für den ungewöhnlichen Erfolg mitverantwortlich, das die bekannte Ostasien-Mode jener Zeit bediente. Dazu kommt die bekömmliche Geschichte. Ja, „Li-Tai-Pe“ ist ein Künstlerdrama, aber eines, das in der Erzählung weitgehend ohne Pathos auskommt und sogar gut ausgeht: Der umherziehende Dichter verhilft dem Kaiser durch ein spontan ersonnenes Liebesgedicht zu einer Braut und übersteht die Intrige zweier Hofschranzen, nicht zuletzt durch die ihn selbstlos liebende Yang-Gui-Fe. Am Ende gibt es zwei Paare und Li-Tai-Pe wird nie wieder eine Getränkerechnung zahlen müssen.
Dazu hat von Franckenstein eine vielfarbige, oft laute, aber nie sehr schwere Musik geschrieben, in der sich die Erfolgsmuster seiner Zeit nahezu komplett wiederfinden. Da fängt oft etwas mit einer nach Wagner klingenden Phrase an, schwingt sich zu leicht domestizierten Bögen a la Richard Strauss auf, um auf einer bedeutungsschwangeren Kadenz zu landen. Die Transparenz des Orchestersatzes mit seinen ungewöhnlichen, manchmal ein wenig selbstzweckhaften Klangwirkungen lässt auch an Puccini oder Massenet denken. Und die Anfänge von Jazz und Filmmusik sind ebenfalls nicht ohne Einfluss geblieben auf diese Partitur, in der Kirchentonarten und pentatonische Abläufe für östliches Kolorit sorgen.
Das alles wird in Bonn von Hermes Helfricht und dem Beethoven-Orchester elastisch, dynamisch und trotzdem durchhörbar musiziert, gerät nur, wie die Chorsätze im ersten Akt, an einigen Stellen etwas laut. Dazu kommt ein tolles Ensemble ohne Ausfall, angeführt von Mirko Roschkowski in der Titelrolle mit schlank und nie fest geführtem, wortdeutlichem Tenor, der nur in der Schlussszene etwas zu kämpfen hat und Joachim Goltz als Kaiser mit mühelosem und recht attraktivem Bariton-Strahl. Von Franckenstein war ein profilierter Liederkomponist und gerade die liedhaften Passagen sind eindeutig Höhepunkte dieser Partitur, etwa die zwei Anna Princeva als Yang-Gui-Fe anvertrauten Li-Tai-Pe-Vertonungen im ersten Akt oder das Preisgedicht des Lyrikers selbst, das dann in ein fast absurd klangrauschhaftes Riesenensemble mit Chor übergeht, das den Zeitgeschmack exakt traf.
Kleine Geschichte, große Musik?
Und die Szene? Im Programmheft benennt Adriana Altaras die dramaturgischen Probleme, die das Stück aufwirft, treffend mit einem einzigen Gegensatzpaar: „kleine Geschichte, große Musik“. Zu Beginn ihrer Inszenierung sehen wir per Projektion auf die Fußgängerszene einer heutigen chinesischen Großstadt, dann drängt sich der teilweise heutig, teilweise in Trachten anderer Zeiten kostümierte Chor (Kostüme: Nina Lepilina) in einer Art Imbisslokal zusammen, über ihm eine Spielfläche, dahinter eine Skyline, mutmaßlich vom heutigen Peking. Mandarine marschieren auf, auf alt-chinesisch ausstaffiert, darüber Daunenjacken und Regenschirme. Der Kaiser ist bei seinem ersten Auftritt in goldenen Stoff gehüllt, im dritten Akt trägt er dann, unter Beibehaltung des antikisierenden Kopfputzes einen heutigen roten Samtanzug. Ähnliche Heterogenität bei den Bildern von Christoph Schubiger: Gemaltes heutiges Parlament und traditionelle Dschunke, heutige Garküche und pompöse Palasttreppe garniert mit Kalligraphie und alten Landschaftsdarstellungen.
Die Inszenierung zeigt alle diese Bilder als Klischees vor, verhindert aber nicht, dass sie zu Dekoration gerinnen. Altaras setzt, wo immer möglich, auf Fülle. Da treiben die vier Mandarine immer wieder ihren Schabernack – selbst in der Umbaupause –, stellen drei Statistinnen in Tai-Chi-Anzügen mit Gesichtsmasken und wechselnden Requisiten unentwegt lebende Bilder und werden immer wieder Musiker:innen auf die Bühne gesandt, um visuell auf die Klangbesonderheiten aufmerksam zu machen. Alle diese Einzelheiten verraten uns aber nichts darüber, warum man das Stück, abgesehen vom konservatorischen Verdienst, heute spielen will oder soll. So dominiert die Unterhaltsamkeit der Musik.