Elfriede Jelinek erzählt die Orpheus-Geschichte völlig anders, aus der Sicht von Eurydike. Sie hat die Nase voll von dem Mann, den sie nur den „Sänger“ nennt, einem Popstar, den ständig eine Horde nervender, kreischender Fans verfolgt. Als Eurydike von der Schlange gebissen wird, findet sie sich schnell damit ab, zum Schatten zu werden. Mehr noch, sie genießt es, endlich von allem Körperlichen und Weltlichen befreit zu sein. Im Schattendasein findet sie zu sich selbst, der Tod ist der Ausdruck iher inneren Leere. Die Schauspielerin Johanna Wokalek sitzt auf einem Kleiderberg. Die Jelinek-Eurydike ist eine Modefanatikerin und kauft immer neue Klamotten, um dem Nichts, als das sie sich empfindet, eine neue Hülle zu geben. Die hochschwangere Schauspielerin liest und spielt gedankenklar, gliedert die komplexen Sätze, lässt in ihrer eigenen Strichfassung manche Derbheit weg. Jelinek für Einsteiger, das Stück ist kein Textflächenmonstrum, sondern ein richtiger Monolog. Das Konzept der Essener Philharmonie funktioniert, die verschiedenen Perspektiven zeigen den Reichtum des Mythos von seinem philosophischen, spirituellen Gehalt bis zur gnadenlosen, boshaft ironischen Analyse Jelineks. Die aber auch – zumindest in der Zeichnung Eurydikes – eine warmherzige Seite hat.
Claudio Monteverdi: L´Orfeo
Elfriede Jelinek: Schatten (Eurydike sagt)
Patrice Delcroix Cherché, trouvé, perdu