Foto: Sarah Moeschler, Gabriella Weber und Berit Vander in „Nathan.Death“ © Franziska Goetzen
Text:Detlev Baur, am 25. September 2021
Kurz vor dem Ende wird in der Lessing-Überschreibung von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel Nathan Opfer eines Terrorakts. Der junge Islamist, der Nathans Tochter bei einem Hausbrand aus den Flammen gerettet hatte, sprengt Nathan – hier als „reichster Mann der Stadt“ auch „Herrscher von Jerusalem“ – und sich selbst in die Luft. Die beiden Autoren lassen das Hohelied der Toleranz also in einem apokalyptischen Fanal enden. Der Text übersetzt religionskritische Enthüllungen nur notdürftig in eine Handlung und in Figuren. Die familiären Verbindungen, die bei Lessing nach und nach kunstvoll entwirrt werden und das Personal somit als globale Familie enthüllen, spielen kaum noch eine Rolle; vielmehr vergiften die Vertreter der drei Religionen, besonders fundamentalistische Evangelikale aus den USA, aber auch Islamisten und ultraorthodoxe Juden das Klima in Jerusalem, das anfangs noch notdürftig vom toleranten Herrscher Nathan und seinem misanthropischen Sicherheitschef Holbach zusammengehalten wird.
Eigenwillige Uraufführung
Regisseur Philipp Preuss verzichtet in der Uraufführung von „Nathan.Death“ am Theater an der Ruhr konsequenterweise ganz auf die Handlungsfragmente der Textvorlage und konzentriert sich auf religiöse Allmachtsphantasien, die auch Zaimoglu und Senkel intensiv verfolgen. In Ramallah Aubrechts weißem Kasten sind die drei Performerinnen Sarah Moeschler, Berit Vander und Gabriella Weber in maskuline, haarig-hässliche Suits gesteckt (Kostüm: Eva Karobath) und spielen bärtige Männer (Maske: Suzana Schönwald). Nach und nach besprechen die Drei an der Rampe alleine Partien aus dem Text, machen dialogische Gespräche aus „Nathan.Death“ zu Monologen, die auf eine schizophrene Figur hindeuten. Aus der wirren Rede entwickeln sich Choreographien (Nir de Volff), die inneren Druck und Hospitalismus andeuten. All das wirkt zunächst ziemlich abstrakt und ein wenig humorlos. Eine Uraufführung, die ihre dramatische Vorlage kenntlich macht, ist die Inszenierung jedenfalls nicht. Und das ist im Ergebnis sehr gut so.
Ein „Nathan“ ohne Nathan
Denn mit Hilfe von Musikeinspielungen, chorischem Sprechen und Sprachloops, tänzerischem Spiel und Lichtstimmungen im cleanen Kasten entsteht in den knapp zwei Stunden tatsächlich ein Denkraum zu Monotheismus und Patriarchat. Anfangs ist das wahre Geschlecht der drei Darstellerinnen kaum zu erkennen, zunehmend ironisieren sie das „starke Geschlecht“. Die Trinität der Performerinnen findet einen sehens- und hörenswerten Weg der szenischen Reflexion. Die ehemalige Hauptfigur Nathan muss hier gar nicht mehr auftauchen.
Utopie statt Apokalypse
Und dann – vielleicht an der Stelle, an der der Nathan in die Luft gejagt würde – wird die hintere weiße Wand abgebaut, öffnet sich der Blick auf eine schwarze Rückwand. Statt die humorlose Katastrophe zu entwickeln, wandelt sich die Inszenierung zu einem utopischen Versuch der Rettung durch entspanntes Nachdenken. Wie Engel tänzeln die Drei nun über die Bühne, schütten Wolkenknäule auf die Bühne, bauen daraus einen Schneemann-Gott, liegen schläfrig und zugleich inspiriert am Boden und spielen sich geistige Bälle zu. Mit Worten aus Valère Novarinas „311 Gottesdefinitionen“ von Parmenides, über Bibel, Koran, Leibniz, Nietzschne, Freud bis zu Udo Lindenberg umspielen sie die Suche nach dem wahren Gott – oder was hinter dieser Suche stecken könnte. Damit ist diese Performance auch nah an Lessings Ringparabel, von der zuvor in einer historischen Schauspielaufnahme Auszüge zu hören waren. Die Inszenierung ist eine so souveräne wie entspannte Darstellung menschlicher und männlicher Verkrampfungen.