Foto: Roman Trekel (Salieri) und Stephan Rügamer (Mozart) © Vincent Stefan
Text:Wolfgang Behrens, am 29. Januar 2016
Man kennt sie ja, diese Programmhefte. Es wird zum Beispiel „Fidelio“ gegeben, und dann sagt einer aus der dramaturgischen Abteilung: „Ach ja, Fidelio, da muss ins Programmheft auf jeden Fall ein Text von Ernst Bloch – Prinzip Hoffnung, ihr wisst schon, und Trompetensignal.“ Eine andere sagt: „Ja, super, und dann bringen wir noch Walter Benjamins ‚Engel der Geschichte‘, der passt irgendwie immer.“ „Genau“, meint der erste, „und bei Agamben und Žižek finden wir sicherlich auch etwas. Das wird thematisch schon irgendwie passen.“ So ungefähr jedenfalls stellt man sich das vor, wenn man als Zuschauer solche diffusen Zitathalden dann in die Hand bekommt.
An der Staatsoper Berlin hatte man nun die brillante Idee, ein solches Programmheft einfach mal auf die Bühne zu bringen. Am Anfang stand „Mozart und Salieri“ von Nikolai Rimsky-Korsakow. In dieser Kurzoper nach Puschkin geht es – aha! – um das Genie, und – Mensch, stimmt! – Einstein war ja auch ein Genie. Und Mozart-Musik mochte der auch! Da könnte doch der blinde Geiger, den Mozart bei Rimsky-Korsakow anschleppt, vielleicht mal Einstein sein. Und weil es in „Mozart und Salieri“ auch um Gewalt geht – Salieri vergiftet den Mozart bekanntlich am Ende – könnte man doch auch noch aus Einsteins Briefwechsel mit Sigmund Freud zitieren, in dem es schließlich auch um Gewalt und Krieg geht. Aber jetzt kommt’s: „Der Großinquisitor“ von Dostojewski – wird da nicht sogar das Genie Jesus von der Kirche bekämpft? Das hat doch auch irgendwie mit Gewalt zu tun, oder? Das lassen wir mal die Angela Winkler vortragen und dazu Schostakowitsch spielen, dann haben wir ein echt krasses Statement gegen Gewalt!
Dramaturgie dieser Art geht rein assoziativ vor und darf auf die Maxime des Theaterdirektors aus Goethes „Faust“ hoffen: „Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen / Und jeder geht zufrieden aus dem Haus.“ Und ja, im Einzelnen kann dann ein solcher Abend wie „Mord an Mozart. Eine relative Vernichtungstheorie“, für den sich die Regisseurin Elisabeth Stöppler, die Bühnenbildnerin Annika Haller, der Dirigent Max Renne und der Dramaturg Jens Schroth als Autor*innen nennen lassen, seine Momente haben. Weil Stephan Rügamer als Mozart und Roman Trekel als Salieri mit der gesammelten Dignität ihrer Phrasierungskunst aufwarten. Weil Angela Winkler den Dostojewski-Text mit einem hellen Pathos spricht, als würde sie ganz spontan und auf nahezu naive Weise von ihren eigenen Worten angefasst. Weil das von Sophie Heinrich angeführte Streichquartett Schostakowitsch abgründig schön zu spielen weiß. Das alles kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die aufschließende Kraftkurve dieses Abends bedenklich der Nullachse nähert.
Die gedankliche Schärfe des Sammelsuriums erschöpft sich offenbar in der Vermutung, dass es mit der Gewalt so eine Sache ist. Sein Assoziationsreichtum freilich wuchert dann wieder nicht wild genug, um irgendeinen ästhetischen Sog zu erzeugen. Zumal sich die Personenregie auf Plattheiten wie wütendes Klavierdeckel-Zuschlagen oder Am-Boden-Wälzen beschränkt. Immerhin gibt es am Ende dann doch noch einen Originalbeitrag zu diesem Programmheft in musiktheatralischer Form: David R. Coleman hat einige Teile des Mozart’schen Requiems übermalt, Mozarts Musik zerbröselt da brav verfremdet in dissonierende Glitzerklänge. Dazu wandert Angela Winkler als eine Art Beuys-Figur mit Hirtenstab über die Bühne, während im Hintergrund Fotos von Atompilzen projiziert werden. Das alles fügt sich ganz wunderbar in die Beliebigkeit der Veranstaltung ein. Bloß Agamben und Žižek, die haben leider gefehlt.