Der Held Seas (Dennis Habermehl) ist müde, aber die Götter (Felix Ströbel als Zeus und Kimberly Krall als Aphrodite) kennen kein Erbarmen.

Dramaturgische Irrfahrt

Constanze Behrends: Odysseus Meerumschlungen

Theater:Landestheater Schleswig Holstein, Premiere:07.05.2022 (UA)Vorlage:OdysseeAutor(in) der Vorlage:HomerRegie:Constanze Behrends

Dass der griechische Held Odysseus „meerumschlungen“ war, wird man schwerlich bezweifeln. Schließlich war es der Meeresgott Poseidon, den der listenreiche Eroberer Trojas gegen sich aufbrachte, und der daraufhin dafür sorgte, dass der Held dem Meer erst nach langer Irrfahrt entrinnen konnte. Wenn allerdings am Schleswig-Holsteinischen Landestheater das neue Stück von Constanze Behrends unter dem Titel „Odysseus meerumschlungen“ uraufgeführt wird, ahnt man, dass mehr dahinter steckt. Denn die Hymne dieses Landes zwischen Nord- und Ostsee beginnt ja mit der schönen Zeile: „Schleswig-Holstein, meerumschlungen, deutscher Sitte hohe Wacht!“ Das kann kein Zufall sein!

Schon gar nicht bei dieser Autorin. Constanze Behrends, genau: Das war die, die 2004 am Berliner prime time theater gemeinsam mit Oliver Tautorat die Seifenoper „Gutes Wedding, Schlechtes Wedding“ aus der Taufe hob. Als Schauspielerin, Regisseurin und Autorin wirkte sie an den ersten 100 Folgen mit und bediente sich, was Themen und Figuren anging, mitten aus dem prallen Kiezleben. Das Ergebnis war eine brillante Milieu-Travestie mit den Mitteln der Sitcom. Auf etwas Ähnliches zielt auch „Odysseus Meerumschlungen“. Odysseus heißt hier eigentlich Odysseas, genannt „Seas“, und betreibt mit seiner Gattin Penelope, genannt „Penny“, ein griechisches Restaurant in Flensburg. Die Ehe leidet an der reziproken Vertauschung gendertypischer Rollen – Seas ist ein begeistert strickender und kochender Softie, Penny dagegen achtet als toughe Managerin auf den Pfennig (sic!). Was auch unterschiedliche Vorstellungen über die Vermarktung griechischer Kochkunst nach sich zieht: Seas setzt auf Omas Hausmannskost, Penny will das Restaurant zum McGreek-Burger umfunktionieren. Die beiden Götterstatuen von Zeus und Aphrodite, die das Restaurant schmücken, beäugen diesen Zwist mit Misstrauen. Und als es dem Göttervater zu bunt wird, schickt er den soften Kneipier auf Schleswig-Holstein-Irrfahrt, damit dieser zum Helden werde: von Flensburg über Rendsburg nach Fehmarn und Lolland und schließlich über Tönning, Sylt, Niebüll und Dithmarschen zurück nach Flensburg.

Das ist streckenweise amüsant. Das Premierenpublikum in Rendsburg war entzückt, einschlägigen Landesattraktionen von Wacken in Dithmarschen über Wikinger in Haithabu bis Winnetou in Bad Segeberg auf der Bühne zu begegnen. Und den Schauspielern und Schauspielerinnen darf man das Kompliment machen, dass sie sich in der Regie der Autorin und im Bühnenbild von Anja Jungheinrich allesamt mit Verve auf den mitunter weitschweifigen Text stürzen. Dass das alles grell, trashig und knatterchargig rüberkommt, ist gewollt. Aber der Text ächzt schwer unter der Prätention, bedeutsamere Themen abzuhandeln. Schon die Beanspruchung der Odyssee als mythische Folie trägt nicht, weil die Handlung über das zusammenhanglose Zitieren einschlägiger Versatzstücke nicht hinauskommt. Und die Lokalkolorit-Travestie läuft oft ins Leere, weil sie allzu Beliebiges an den Haaren herbeizieht. Da gibt es einen Fischkutter in Rendsburg, der vor Fehmarn fischt (und das bei den heutigen Spritkosten!), von Niebüll nach Sylt kommt man per Autofähre (hoffentlich strandet sie nicht am Hindenburgdamm!). Odysseas wird vom deutsch-dänischen Schweine-Schutzzaun aufgehalten, wo Kirke Nerze jagt, bevor sie mit ihm zur Disco nach Sylt aufbricht. So mischt sich flüchtige Reiseführer-Lektüre mit zusammenhanglosen Lokalzeitungs-Schnipseln.

Aber auch beim Genderthema bleibt der Text heillos in den Klischees stecken, die er, politisch bemüht unkorrekt, gern schrill parodieren würde. Und so steht am Ende der glücklichen Wiedervereinigung von Seas’ bürgerlicher Kleinfamilie nichts im Wege. Das Theater feiert den Status Quo – während draußen ein Krieg und eine Pandemie die Welt verändern.