Peter Jacob, Akasha Daley, Alexander Darkow und Bärbel Göbel

Privat-Theater

Hannah Biedermann und Ensemble: Wir sind hier

Theater:Theater Dortmund, Premiere:08.03.2024 (UA)Regie:Hannah Biedermann

Hannah Biedermann lässt in der Stückentwicklung „Wir sind hier“ am Schauspiel Dortmund zwei Senioren-Laien und zwei Ensemblemitglieder über ihr Leben sprechen. Dabei gelingt ein kleines Theaterwunder.

Auf der Studiobühne schrauben vier Darsteller:innen an tiny Hausgerüsten aus Holz (Ausstattung: Ria Papadopoulou) und spielen zu Beginn „Kofferpacken“. Im Verlauf des gut einstündigen Stücks geht es um einen möglichen Wechsel im Leben, um einen Wegzug aus Dortmund, um das Leben von vier Menschen in dieser Stadt. Das ist auf keinen Fall spektakulär, und anfangs auch etwas mühsam. Das Einrichten in den Hausandeutungen, eine kleine Publikumsbefragung, eingespielte Stimmen aus Interviews zum Leben in Dortmund, das Kochen eines Eis im Wasserkocher, ein poetry-slam-Song über Dortmund, eine Aufsteh-Choreografie der vier Figuren zu Hause – all das wirkt wie performatives Theater von der Stange. Und der dramaturgische Sinn im Zusammenspiel der beiden jüngeren Ensemblemitglieder Akasha Daley und Alexander Darkow, die berufsbedingt schon viele Ortswechsel hinter sich haben, und den beiden lange in einer Stadt lebenden Mitgliedern des Dortmunder Sprechchors, Bärbel Göbel und Peter Jacob, erschließt sich noch nicht recht.

Anzeige

Spiel und Realitäten

Doch gelingt es der Inszenierung zunehmend durch spielerische Mittel Interesse an den vier Protagonist:innen zu wecken. Die „Behauptungen“, die Peter Jacob immer wieder selbstkritisch konstatiert, werden beispielsweise dann zu einer neuen Realität, wenn aus der Thermoskanne realer Tee gegossen wird, obwohl zuvor das in den Wasserkocher geschüttete Wasser nur im Spiel existierte.

Die theatrale Aktion und die Geschichte der Performer:innen nimmt nun szenische Fahrt auf: Wenn Alexander Darkow mit Kreide die Stationen seiner Karriere von Ost-Berlin über Leipzig, Chemnitz, Heilbronn, Augsburg, noch einmal Heilbronn nach Dortmund sinnlich nachvollziehbar in den Boden schreibt, wenn er mit dem ehemaligen Chemiker Peter Jacob in einem Häuschen das gekochte Ei teilt und die beiden vertraulich über Kinderwünsche von Männern sprechen, wenn Bärbel Göbels Haus von den anderen dreien durch rhythmisches Schieben zum Schiff mutiert und durch Sätze im Konjunktiv eine Alternative zu ihrem Leben als Mutter und Ehefrau entworfen wird – falls sie denn doch Schiffskrankenschwester geworden wäre – oder wenn Akasha Daley Bücher aussortiert, die sie nie gelesen hat, und die gerade deshalb etwas über sie erzählen.

Undramatisch bühnentauglich

Jetzt verbindet sich ihr Bühnenleben auch spannungsreich mit den Einspielungen: Akasha Daley übersetzt das eingespielte Interview mit einer Migrantin, die immer ein „sesshaftes Leben“ gesucht hat; da wirken die Fragen der Protagonist:innen über Gehen oder Bleiben vergleichsweise undramatisch, werden jedoch nicht entwertet, sondern vielmehr in einen größeren Zusammenhang gestellt. Und im „Publikumsorakel“ verbinden sich nun die spontanen Antworten der Zuschauer:innen, deren Tribüne die Spielfläche von zwei gegenüberliegenden Seiten umrahmt, mit den Zukunftswünschen der Spieler:innen. Hannah Biedermanns Inszenierung entwickelt einen stimmigen szenischen Rhythmus, Text, Spiel und szenische Elemente wie auch Mo Sommers Sounddesign spielen organisch ineinander.

Die vier und ihre keineswegs abgeschlossenen Lebensgeschichten stehen nicht für andere, vermitteln in diesem Spiel jedoch Bilder von unterschiedlichen Biografien in dieser Stadt, diesem Land, unserer Welt. Im Gespräch und im Miteinander-Agieren entsteht ein anregender, harmonischer Austausch über – alles in allem – undramatische Schicksale, die dennoch der Teilnahme wert sind. Der anfangs angedeutete Umzug ist am Ende vertagt, weil das ganze Leben ein Aufbruch ist. Ein wertvoller kleiner Theaterabend.