Spiel und Realitäten
Doch gelingt es der Inszenierung zunehmend durch spielerische Mittel Interesse an den vier Protagonist:innen zu wecken. Die „Behauptungen“, die Peter Jacob immer wieder selbstkritisch konstatiert, werden beispielsweise dann zu einer neuen Realität, wenn aus der Thermoskanne realer Tee gegossen wird, obwohl zuvor das in den Wasserkocher geschüttete Wasser nur im Spiel existierte.
Die theatrale Aktion und die Geschichte der Performer:innen nimmt nun szenische Fahrt auf: Wenn Alexander Darkow mit Kreide die Stationen seiner Karriere von Ost-Berlin über Leipzig, Chemnitz, Heilbronn, Augsburg, noch einmal Heilbronn nach Dortmund sinnlich nachvollziehbar in den Boden schreibt, wenn er mit dem ehemaligen Chemiker Peter Jacob in einem Häuschen das gekochte Ei teilt und die beiden vertraulich über Kinderwünsche von Männern sprechen, wenn Bärbel Göbels Haus von den anderen dreien durch rhythmisches Schieben zum Schiff mutiert und durch Sätze im Konjunktiv eine Alternative zu ihrem Leben als Mutter und Ehefrau entworfen wird – falls sie denn doch Schiffskrankenschwester geworden wäre – oder wenn Akasha Daley Bücher aussortiert, die sie nie gelesen hat, und die gerade deshalb etwas über sie erzählen.
Undramatisch bühnentauglich
Jetzt verbindet sich ihr Bühnenleben auch spannungsreich mit den Einspielungen: Akasha Daley übersetzt das eingespielte Interview mit einer Migrantin, die immer ein „sesshaftes Leben“ gesucht hat; da wirken die Fragen der Protagonist:innen über Gehen oder Bleiben vergleichsweise undramatisch, werden jedoch nicht entwertet, sondern vielmehr in einen größeren Zusammenhang gestellt. Und im „Publikumsorakel“ verbinden sich nun die spontanen Antworten der Zuschauer:innen, deren Tribüne die Spielfläche von zwei gegenüberliegenden Seiten umrahmt, mit den Zukunftswünschen der Spieler:innen. Hannah Biedermanns Inszenierung entwickelt einen stimmigen szenischen Rhythmus, Text, Spiel und szenische Elemente wie auch Mo Sommers Sounddesign spielen organisch ineinander.
Die vier und ihre keineswegs abgeschlossenen Lebensgeschichten stehen nicht für andere, vermitteln in diesem Spiel jedoch Bilder von unterschiedlichen Biografien in dieser Stadt, diesem Land, unserer Welt. Im Gespräch und im Miteinander-Agieren entsteht ein anregender, harmonischer Austausch über – alles in allem – undramatische Schicksale, die dennoch der Teilnahme wert sind. Der anfangs angedeutete Umzug ist am Ende vertagt, weil das ganze Leben ein Aufbruch ist. Ein wertvoller kleiner Theaterabend.