Foto: Labyrinth und Krone. Theseus (Laimonas Pautientius) mit Schatten (Lukasz Konieczny als Minotaurus) und Ariadnefaden. © Birgit Hupfeld
Text:Andreas Falentin, am 23. April 2018
Die zweite Auflage der „Plattform Regie“ an der Deutschen Oper am Rhein überzeugt nur mit Martinus „Ariadne“
Vor zwei Jahren hat die Deutsche Oper am Rhein mit Elliot Carters „What Next?“ und Leonard Bernsteins „Trouble in Tahiti“ ein neues Format aufgelegt. Die Plattform Regie „Young Directors“ soll künstlerischen Kräften aus der zweiten Reihe des Hauses die Gelegenheit geben, sich auf der großen Bühne zu zeigen. Die zweite Auflage hinterließ jetzt im Theater Duisburg, bei konservativerer Stückwahl, zwiespältige Eindrücke.
Gaetano Donizettis hierzulande unbekannter Opernerstling „Pygmalion“ ist heute wohl vor allem musikalisch interessant – ein Mix aus dem getragenen Oratorienton von Donizettis Lehrer Giovanni Simone Mayr, Anklängen an Rossinis Buffo-Opern und ersten, fast schüchternen Versuchen, jene Kantilenen melodisch auszuspinnen, für die der Komponist später europaweit berühmt werden sollte. Leider dirigiert Ville Enckelmann diese Musik erdenschwer sachlich und verkauft so sein gut disponiertes Orchester erheblich unter Wert. Das fällt besonders ins Gewicht, weil Volker Böhm, dem langjährigen 1. Spielleiter der Rheinoper, zu diesem erweiterten Monodrama, das stoffgeschichtlich Ovid und Rousseau zu seinen wesentlichen Vorfahren zählt, schlicht nichts Wesentliches eingefallen ist. Sein Pygmalion ist kein verbitterter, zum Frauenfeind geronnener Monarch, der durch die Beziehung zu seiner Statue neu belebt wird und erst recht kein leidenschaftlicher besessener, zu sich kommender Künstler, sondern eher ein reicher Müßiggänger im eleganten Dreiteiler auf halbherziger Sinnsuche. Er interessiert uns nicht.
Dazu hat Leif-Erik Heine eine bühnenbreite, halbkreisförmige, antikisierende Sakralbaufront gebaut, die pflichtschuldig auseinanderklafft, wenn der Titelheld außer sich gerät und mythologische Figuren wanken so werkfremd wie bedeutungsschwanger dekorativ über die Bühne. Immerhin bewältigt Ovidiu Purcel seine große Rolle mit standfestem, im oberen Register auch klangschönem Tenor und Lavinia Dames bringt die wenigen Töne der erwachenden Statue mit selbstverständlicher Musikalität charmant über die Rampe.
Ein ganz anderes Bild ergibt der zweite Teil des Abends. Schon die ersten Töne lassen aufhorchen. Jesse Wong geht Martinus „Ariadne“ federnd und wirkungsbewusst an. Jetzt dürfen die Duisburger Philharmoniker auch mal in Spielfreude explodieren, wobei sie nie die eigenwillige Struktur dieser genuin postmodernen Partitur verschleiern, diesen effektseligen Mix aus Folkloristischem, Postromantischem und lustvoll Formlosem, das momentweise gar die Minimal Music zu antizipieren scheint.
Kinga Szilágyi, hauptberuflich Regieassistentin am Haus, liefert nicht unbedingt eine tiefschürfende Interpretation, macht das nicht unkomplizierte Stück aber auf spannende und unterhaltsame Weise spielbar. Aus dem Off gesprochene Satzfetzen verweisen zu Beginn auf jene dreifache, vielleicht sogar vierfache Tragik, die Theseus durch sein Handeln zwingend auslösen wird. Ariadne wird verlassen, der nicht wirklich schuldige Minotauros wird sterben und Theseus Vater wird sich ins Meer stürzen.
Und Theseus selbst? Der C.G. Jung’sche Schatten, eine wesentliche Inspirationsquelle für den Librettisten Georges Neveux, steht im Zentrum der Aufführung und gebiert, metaphorisch gesprochen, symbolistische Kinder. Sämtliche Jünglinge sind leichtgewichtige Doppelgänger von Theseus, der sich mit dem Besiegen des – komplett schwarzen und nicht mit Gehörn ausgestatteten – Minotauros sozusagen zu seiner dunklen Seite bekennt, was hier plan heißt: für die Macht, gegen die Liebe. Leif-Erik Heine bevölkert die Bühne mit bewegbaren, zweidimensionalen Objekten, Zahnradfragmenten und stilisierten Korngarben oder Bäumen. Die tanzen vielleicht ein wenig zu viel herum, schaffen aber sowohl Unwirklichkeit als auch Stringenz, schlicht: Atmosphäre. Das Übrige leisten die Sänger. Die fünf Jünglinge sind, angeführt von Luis Fernando Piedras Burun, ein formidables Ensemble, Lukasz Konieczny tönt als Minotauros angemessen schlank und schwarz und Heidi Elisabeth Meier ist eine in Liebe wie Verlassenheit rührende Ariadne mit schlankem, kostbarem Sopranton, der nur dann ein wenig verschwimmt, wenn Expansion in großer Höhe gefordert ist. Laimonas Pautientius ist das Kraftzentrum dieser Aufführung. Herrisch führt er seinen Bariton. Auf der Bühne wirkt er nicht wie ein Opernsänger, sondern eher wie ein schwerer Männerspieler im Film oder auf der Sprechbühne, eine verjüngte Mischung aus Peter Kurth und Charly Hübner, ein isoliertes Kraftpaket mit wütend aufeinander gepressten Lippen, das am Ende wie gelähmt die Krone anstarrt, das Ziel aller Wünsche – und deren Ende. Man kann sich ihm nicht entziehen.
Kinga Szilágyi hat nicht zuletzt, was die Figurenerfindung angeht, mit dieser Ariadne, eine echte Talentprobe abgelegt. Sie scheint reif für ein großes Stück, hier oder anderswo.