Foto: Monika Gintersdorfer und Benedikt von Peter beschäftigen sich am Theater Bremen mit Mozarts "Entführung aus dem Serail". Keine Türken, nirgendwo. Nichts von orientalischer Exotik. Ivorische und deutsche Performer sowie Bremer Opernsänger tanzen Mozart (von links): Hauke Heumann, Franck Edmond Yao alias Gadoukou la Star, Patrick Zielke und Gotta Depri. © Jörg Landsberg
Text:Jens Fischer, am 5. Juli 2015
Tanzen, singen und drauflosreden, bei den ivorischen Performern des Gintersdorfer/Klaßen-Teams ist das eine genussvoll praktizierte, expressive Einheit – und kein rassistisches Klischee. Singen, tanzen und eigene Texte sprechen, für Opern-Protagonisten gehört das eher nicht zusammen, sie sind Stimm-, auch Schauspiel-, keine Tanz- oder Improvisationskünstler, eher körperlos, als individuelle Persönlichkeit weniger gefragt. Zwei heterogene Ansätze sind dies, sich mit der „Entführung aus dem Serail“ zu beschäftigen.
Als krönende Zugabe ihrer (allerdings wenig erfolgreichen) Artist-in-residence-Zeit am Theater Bremen feiern Monika Gintersdorfer (Regie) und Knut Klaßen (Ausstattung) den Abschied des Opernchefs Benedikt von Peter (Regie). Die Begegnung zweier Kulturen in dem Mozart-Werk wollte dieser nicht einfach inszenieren, sondern selbst ausprobieren. Zusammengebracht und einander gegenübergestellt (nicht vereinnahmt) werden nun höchst disparate Kunstgenres, Theatersparten, Musikstile, Traditionen, Wertvorstellungen und Sprachen. Dabei öffnet von Peter die Wundertüte Oper fürs Publikum, gewährt Blicke hinter die Kulissen.
Da die Beteiligten zutiefst widersprechende Meinungen äußern, werde die Zentralperspektive aufgegeben, erklärt Conferencier Hauke Heumann. Das Parkettgestühl ist größenteils ausgebaut. Die Zuschauer flanieren zwischen dem Orchester (musikalische Leitung: Markus Poschner) auf der Hinterbühne und den überall im Raum platzierten Spielorten hin und her. Die Oper wird zur Nummernrevue vorläufiger Versuche, miteinander ins künstlerische Gespräch zu kommen. Proben live. Entlang des Handlungsfadens.
Nach der Ouvertüre erklärt Ted Gaier den Titel „Les robots ne connaissent pas le Blues“: Für Benedikt von Peter sei Musiktheater eine Disziplinierungs-Maschine von Opernsängern, ein Räderwerk der Roboter, und habe keine Beziehung zur ungestümen Spontaneität emotionalen Ausdrucks – zum Blues. Oder genauer: „zum Soul“. Der ehemalige Electro-Punker der Spaßcombo „Die Goldenen Zitronen“ hat das Bremer Musiktheater allerdings ganz anders, nämlich „ganz coole Leute mit freakigen Strategien erlebt, um im Erbauungstempel des Bürgertums zurechtzukommen“.
Für Gaier ist die Bedeutung des Arbeitstitels ein anderer: Um dem hegemonialen, perfektionierten Klangklischees der Rockmusik zu entkommen, setzt er auf den betonharten, neonlichtgrellen, maschinellen Sound der elektronischen Musik. Mit hammerzarten Beats kontrastiert er fortan die kernig weichen Mozartmelodien. Patrick Zielke singt auch eine Arie auf dem tuckernde Rhythmus, Nerita Pokvytyte jazzt dazu in Koloraturmanier. Später versucht sie sopranistisch einen der Tänzer zu verführen. Toll.
Ein Textbuch existiert nicht für diesen Abend, nur die Themen sind vorgegeben durch die ausgewählten Arien und Duette. Es geht Opern-üblich um Liebe, Sex, Ehre, Treue, Eifersucht und Verführbarkeit. Heumann übersetzt und kommentiert die Einlassungen der Ivorer. Das Unverständnis schlägt schnell in Unfähigkeit um, diese eigenartig artifizielle Art des Gesanges zu imitieren oder im westafrikanischen Coupé-Decalé-Still zu interpretieren – also wird parodiert. Etwas plump. Hauke Heumann selbst versucht sich an einer Pedrillo-Arie – scheitert charmant. Und erklärt ironisch, seine reale Angst etwa vor dem hohen A sei real auf der Bühne zu erleben gewesen, das zeige den Authentizitätsanspruch dieser Performance; die psychologische Charakterisierung habe Mozart ja schon mit der deutlichen Ausgestaltung der häufigen Forte-Piano-Wechsel in der Partitur angelegt: wildes drauflos Wollen und dann doch nichts tun.
Vor allem werden die Inhalte hinterfragt und im Dialog mit eigenen Lebenserfahrungen abgeglichen. Es war ja eine Jubiläumsfeier für den Sieg über die Osmanen, an der 1782 in Wien die „Türkenoper“ uraufgeführt wurde. Sich aufgeklärt dünkende Zeitgenossen zelebrierten damit auch das Überlegenheitsgefühl der eigenen christlichen Kultur gegenüber derjenigen des Islams. Den Sieg des Humanismus und der Einehe über Unterdrückung und Vielweiberei. Die Kritik an solch ideologischem Ballast erklingt nun deutlich, etwa wenn Hauke Heumann „Love is a bourgeois construct“ der Pet Shop Boys singend mit „Die monogame Liebe ist ein Herrschaftsinstrument“ übersetzt. Woraufhin seine afrikanischen Kollegen den Egoismus des Ehekonzepts anprangern und den Geld-Macht-Körper-Markenwarenfetischismus als Lebensgefühl bedienen: Nur wenn ich auffalle, Eindruck mache, bin ich.
Diese Kultur-Clash-Party funktioniert prima. Auch weil das Gintersdorfer/Klaßen-Team bestens im Thema ist. Wurden doch bereits mit „Othello c’est qui“ wichtige Aspekte des Shakespeare-Dramas mit einer deutschen Schauspielerin durchdekliniert und die gegenseitigen Vorurteile über den Mohren, seine Darstellung auf deutschen Bühnen und das Desinteresse der Afrikaner an all dem vorgestellt. Genauso locker, kurzweilig, konsequent beiläufig kommt jetzt der Mozart-Abend daher. Den die herausragende Sopranisten Nicole Chevalier zu einer Lecture Performance über ihr Instrument nutzt. Hinreißend auch, wenn die Ivorer versuchen, mit kraftvoller Körperspannung und gestandenem Spagat die musikalische Energie in Bewegung umzusetzen. Herrlich tapsig, wenn sie auch die Opernhelden dazu animieren. Oder sich alle zur Chorus Line zusammenfinden und mechanisches Ballett als Polonaise darbieten.
Lust aufeinander. Lust auf Miteinander. Oper ist hier als allmähliche Verfertigung einer Diskursperfomance zu erleben: nicht perfekt formatierte Kunst, sondern gelebte Kommunikation. Mit allen Tücken. Mal wieder ein geradezu stilbildender Triumph des künstlerischen Wollens des Theaters Bremen.